Android

Auf „Do Androids Dream of Electric Sheep“ von Philip K. Dick basiert der Film Blade Runner. Auch wenn in den Designer Notes weder der Film noch das Buch vermerkt wurde, wirkt Android wie das Spiel zum Film. Im düsteren New Los Angeles drehen sich gleich eine ganze Reihe von Cyberpunk-Stories um Mord, Verschwörung, Gen- und Bio-Tech, sowie die persönlichen Abgründe einzelner Privatdetektive. Über der Stadt schwebt geostationär der besiedelte Mond, der per Aufzug leicht erreichbar ist. Keine Angst – die Machbarkeit und die Konsequenzen auf die Gezeiten und das Weltklima eines solchen Projekts hinterfrage ich im weiteren Text nicht.

Android ist ein episches Spiel. Um es zu geniessen, sollten eine gehörige Portion Sitzfleisch, Frustrationstoleranz, eine gewisse Affinität zum Thema und ziemlich gute Englischkenntnisse mitgebracht werden. Sie werden das Spiel mögen, falls Sie Kurzspielregeln, strukturierte Regeln, aufs Wesentliche reduzierte Spielmechanismen und ähnliches für überflüssigen, neumodischen Schnickschnack halten. Das Spielmaterial ist dafür umso reichhaltiger. Die gut gefüllte Spielschachtel wiegt 2400 Gramm. Das ebenfalls üppig ausgestattete [cref dungeon-lords] bringt es nicht einmal auf 1600 Gramm. Die optische Gestaltung ist schlichtweg grandios opulent.

Vordergründig geht es um einen Mordfall. Ein paar verdächtige Zeugen stehen auch schon bereit, wenn sich die Spieler als Privatdetektiv verkleidet auf Spurensuche begeben. Wie in Krimis so üblich gibt es aber eine ganze Reihe von Nebenhandlungen. So hat natürlich jeder Detektiv auch ein Privatleben und eine düstere Vergangenheit zu meistern. Stück für Stück enthüllen sich auch noch Puzzleteile einer größeren Verschwörung, und New Los Angeles hat natürlich sowieso noch so einiges an Überraschungen zu bieten. Es ist kaum möglich, sich um alles zu kümmern, dies ist auch gar nicht gewollt. Statt dessen müssen sich die Spieler auf einzelne Möglichkeiten fokussieren und andere links liegen lassen.

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Android wird über 12 Runden gespielt. Pro Zug hat ein Spieler sechs Aktionspunkte, die er zum Bewegen, Zeugenbefragung, Aufdecken der Verschwörung, Karten nachziehen und Aktionskarten ausspielen verwenden kann. Die Aktionskarten haben eine Besonderheit: Für jeden Charakter gibt es zwei individuelle Kartensätze. Die hellen Karten werden vom Charakter selbst gezogen und gespielt, die dunklen sammeln und spielen die Mitspieler. Damit ist es möglich, den anderen gehörig in die Suppe zu spucken. So kann die richtige Aktionskarte zu rechten Zeit einen Spieler locker 30% der Siegpunkte kosten. Um helle Karten spielen zu können, müssen zwangsweise auch dunkle durchgesetzt werden. Gleiches gilt umgekehrt.

Jeder Privatdetektiv hat ganz eigene Fähigkeiten und Ziele. So gibt es die Kopfgeldjägerin, den Kriegsveteranen, den Clon, den Androiden und eben den klassischen Private Dick. Damit hat jeder auch noch eigene Ziele, die er durch Anhäufen guter und schlechter Erfahrungen erreichen kann. Für schlechte Erfahrung sorgen meist die Mitspieler.

Die Verschwörung ist wahrlich ein Puzzle und kommt als kleines Legespiel im Spiel daher. Durch Legen von Verbindungen auf einem 5×5 Raster werden weitere Siegpunktquellen erzeugt. Die Mördersuche ist ähnlich wie neuerdings auch bei [cref tobago] per inverser Deduktion geregelt. Während des Spiels dürfen die Spieler die verdächtigen Zeugen mit Alibis und belastenden Indizien versehen. Sollte ein Verdächtiger aus Versehen vor Spielende sterben, war er offensichtlich unschuldig. Der am Spielende verdächtigste überlebende Zeuge wird als Mörder verurteilt. Dann deckt jeder Spieler zwei Auftragskarten auf, die je einen Wunschmörder und einen Schützling zeigen. Wer laut Auftrag den Mörder überführte bzw. seinen Liebling decken konnte, bekommt eine dicke Siegpunktbelohnung.

Android soll ein durch und durch thematisches Spiel sein. Viele Spieler und Kritiker bescheinigten ihm aber im Gegenteil, dass die Mechanismen überhaupt nicht dem Thema gerercht würden. Ich sehe dies nicht so eng. Okay, die Mörderjagd wirkt mehr wie eine Abstimmung über den Lieblingsschuldigen. In einer korrupten Zukunft könnte dies aber auch durchaus die bittere Realität sein. Gutwillig ist es möglich, jede Regel von Android thematisch zu begründen. Umgekehrt kann das Spiel aber auch wegen unlogischer und unpassender Mechanismen in der Luft zerpflückt werden.

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Aus meiner Sicht sind ein paar handwerkliche Fehler ärgerlicher. Ohne die FAQ gelesen zu haben, sind einige häufig vorkommende Regelfragen gar nicht lösbar. Häufiger werden NPCs zitiert, die nur über das Studium der Rückseiten der Charakterbögen identifiziert werden können, da es die Autoren nicht für nötig hielten, die NPCs irgendwo anders mit Bild und Namen vorzustellen. Auf der Vorderseite der Bögen gibt aber ein Marker den aktuellen Gemütszustand des Spielers an, das Zwangsumdrehen ist also mehr als murksig. Die Bewegungsweite der Spieler ist eigentlich trickreich geregelt. Jeder hat einen persönlichen Maßstab, der angibt, wieweit er in einer Zeiteinheit kommt. Dies ersetzt ein Wegenetz auf dem Spielplan. Damit kann aber nicht vorgeplant oder heimlich berechnet werden, ob ein bestimmtes Feld erreichbar ist. Dies erhöht die ohnehin hohen Wartezeiten noch einmal.

Mit Verwendung der Begriffe NPC und Charakterbogen sollte klar werden, dass Android schon Züge eines Rollenspiels trägt. Deshalb sollten sich die Spieler auch auf die Story sowie die kleinen Anekdoten am Rande einlassen und die Wartezeiten nutzen, um etwas über die dunkle Zukunft zu sinnieren. Sieg und Niederlage können dann auch etwas in den Hintergrund treten, wenn es gelingt, den Charakter und die Welt mit Leben zu füllen. Dies ist gewiss nicht jedermanns Sache, insbesondere da Android nicht wie andere American-Style Games keine Geschichte von alleine erzählt, sondern nur den Rahmen bietet und von den Spieler die Ausgestaltung noch einfordert.

Pro Mitspieler werden etwa 90 Minuten Spieldauer benötigt. Weitere 90-120 Minuten sollten für Regelerläuterungen und Nachfragen eingeplant werden. Dies setzt aber voraus, dass der Erklärer sich einige Stunden im Vorfeld mit der Regel auseinander gesetzt hat. Die Spielvorbereitung dauert eine weitere Stunde. Mit
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steigender Spielerzahl fällt auch noch die Kontollierbarkeit des Spielgeschehens. Ich mag deshalb Android nur zu dritt spielen. Im Gegensatz zu manch anderem Spielen dieses Umfangs bietet es zu dritt aber schon den vollwertigen Spielspaß. Mit mehr Spielern steigt weder die Interaktion noch ergeben sich mehr Möglichkeiten. Ruhe, Entspannung und viel Zeit vorausgesetzt werde ich Android bestimmt mal wieder spielen, dies trifft für mich nur auf wenige Spiele zu, die länger als drei Stunden dauern.

3 Kommentare

  1. Ich kann der Rezension nur in allen Punkten beipflichten. Wilson ist auf hohem
    Niveau mit diesem Spiel gescheitert. Nur eins stimmt nicht (und wird von vielen Rezensenten und Spielern immer falsch verstanden): der Mond ist keineswegs geostationär. Der Fahrstuhl im Spiel ist der seit über hundert Jahren propagierte „Turm“ ins Weltall, von dem aus der Weiterflug zum Mond nur noch ein kleiner Trip ist. So unwahrscheinlich dieses tausende Kilometer lange Bauwerk auch erscheint, physikalisch undenkbar ist es nicht.
    Eher sind in Android die Flugautos Humbug, den wir wohl nie realisiert sehen werden. *seufz*

    • Hallo Michel,
      ja, das der „Beanstalk“ nur bis in den Orbit gehen soll wäre gut möglich. Die Grafik auf dem Spiel könnte nur leicht verwirrend gezeichnet sein. Was spricht eigentlich dagegen, dass die Flugautos als Helikopter realisiert werden könnten? (Mal abgesehen von der fehlenden Atmosphäre auf dem Mond und das es im Luftraum von New LA recht eng werden könnte.)
      Viele Grüße,
      p.

  2. Helikopter sind (als Flugautos) irgendwie uncool. Nö, das müsste schon in Richtung „Spinner“ aus „Blade Runner“ gehen. Oder noch fünf Jahre warten, bis die Hoverboards und -cars Realität werden, wie man uns vor etwa 25 Jahren prophezeit hat (Handys und Internet werden wunderbarerweise wieder verschwinden, dafür aber Faxgeräte ein Comeback feiern, sogar auf dem Klo).

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