Erstveröffentlichung im Juli 2010 in der Fairplay 92.
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Die feine englische Art?

Der Wilde Westen lebt! In CARSON CITY geht es authentisch rough zu. Da wird nicht lange gefackelt. In nur vier Runden entsteht die Stadt, und die Spieler müssen das meiste Money scheffeln und möglichst effektiv in Victory Points umsetzen. A propos „lange fackeln“: Die Geschwindigkeit, mit der ein Review zu CARSON CITY in der Fairplay erscheint, erfüllt diese Condition sicherlich nicht. In Essen wurde das Spiel kurzzeitig als Hype hoch gelobt. Doch dann wurde es recht schnell ruhig um das Spiel. Doch dazu später mehr.

Betrachten wir erst mal die Mechanik: Was sind die Erfolg versprechenden Ingredients eines modernen Spiels? Klar: Rollenwahl und Worker Placement! Dieser neue, topmoderne Begriff bezeichnet das Einsetzen von Figuren auf limitierte Aktionsfelder und deren spätere Auswertung in vorgegebener Reihenfolge. Anglizismus rules! Deshalb darf natürlich in dieser Besprechung die englische Sprache nicht zu kurz kommen.

Roles and Workers: Beide Aspekte finden sich bei CARSON CITY wieder. Zuerst wählt jeder Spieler eine Rolle mit bestimmten Vorteilen und – was uns später noch beschäftigen wird – einem Bargeldlimit. In der Grundvariante fein säuberlich in Spielreihenfolge setzen danach die Spieler jeweils einen schön aus Holz modellierten Cowboy auf ein Aktionsfeld. Das kann ein Platz auf der Aktionsleiste sein, oder ein Feld auf dem Spielplan. Letzterer zeigt die Landschaft an, auf dem der Namen gebende Ort CARSON CITY nach und nach wächst und gedeiht. Wer dorthin setzt, meldet den Anspruch auf Inbesitznahme der entsprechenden Parzelle an. Alternativ können Gebäude von Mitspielern besetzt werden, um von deren Einnahmen einen Anteil abzuzwacken.

Der Unterschied zu anderen Spielen des Genres: Orte oder Felder sind nicht grundsätzlich besetzt, sobald dort eine Worker-Figur in Form eines Cowboys steht. Überall hin können jederzeit weitere Figuren eingesetzt werden. Treffen mehrere Cowboys aufeinander, wird die Vergabe der Aktion per Duell entschieden. Denn in Wirklichkeit darf es natürlich doch wieder nur einen geben.

Nach dem Placement heißt es: Work! In vorgegebener Reihenfolge werden alle Felder nun abgearbeitet. Grob zusammengefasst lautet die Reihenfolge: Nachschub an Geld und Straßen, Verkauf von Parzellen, Errichtung von kostenpflichtigen Gebäuden auf eigenen Parzellen, Geldausschüttung in Abhängigkeit des eigenen Besitzes (z.B. für die Anzahl eigener Parzellen), allgemeines Einkommen durch Gebäude, Erlangung von Siegpunkten.

Wann immer ein Feld ausgewertet wird, auf dem mindestens zwei Cowboys stehen, kommt es zum High Noon. Per Würfelwurf wird entschieden, wer der Last Man Standing ist und die Aktion ausführen darf. Wer viele Revolver gesammelt hat, ist im Vorteil. Die Schießeisen gibt es für die Errichtung bestimmter Gebäude, als Bonus für die Rolle „Revolverheld“ oder als temporären Vorteil für den Einsatz eines Workers. Die Würfelei behagt vielen Hardcore Spielern nicht. Das ahnten wohl die Maker des Spiels und legten dem Spiel eine Variante bei, in der jeder Spieler Duellmarker mit festen Werten erhält. Nach verdeckter Wahl entscheidet der so erzielte höhere Wert. Doch mal ehrlich: Zum Duell passt doch das Quäntchen Glück durch den Würfelwurf viel besser, oder?! Wer verliert, erhält immerhin seinen eingesetzten Cowboy zurück. Dieser verstärkt die Verteidigung für spätere Duelle und steht in der nächsten Runde erneut für Aktionen zur Verfügung.

Die Entwicklung der Landschaft erzählt eine thematisch gelungene Geschichte. Beginnend mit einer kleinen Farm in der Mitte der Prärie entwickelt sich ein reges Treiben in der Stadt. Während sich zuerst meist Minen und Ranches ansiedeln, kommen später Geschäftshäuser wie Saloons, Hotels, Drugstores oder Banken hinzu. Jedes neue Gebäude lockt weitere Siedler an und zieht somit den Bau eines Wohnhauses nach sich. Entsprechend muss in das Straßennetz investiert werden, und diese Aufgabe obliegt den Spielern.

Das hört sich alles ziemlich verwirrend an? Dem kann ich nicht widersprechen! Neulingen fällt der Einstieg zu CARSON CITY ob der vielen Details nicht gerade leicht. Es dauert gut und gerne einige Partien, bis die übelsten Fehler gemacht und alle Regeldetails korrekt befolgt wurden. Da mag manch einer die Flügel strecken und konstatieren: I am not amused. Das kann insbesondere auch der Fall sein, wenn man ausgesprochene Stänkerer in der eigenen Runde hat, die mehr auf Duelle und Ärgern aus sind als auf ihren eigenen Sieg.

Alles Streben gilt den Punkten. Hauptquelle hierfür ist: Investment! In der ersten von vier Runden ist noch ein Verhältnis von 2:1 für den Umtausch von Dollars in Siegpunkte möglich. In späteren Runden wird’s teurer. Doch die damit verbundene Aktion birgt die Gefahr des Verzettelns. Wer hier zu viel Geld umsetzt, läuft Gefahr, für spätere Einkäufe von Parzellen oder Gebäuden blank zu sein. Der so erzielte Vorsprung lässt sich kaum retten – auch wenn nur drei weitere Runden gespielt werden.

Wer gute Einnahmen erzielt, sollte allerdings dennoch über die Aktion der Umwandlung nachdenken. Denn jede Rollenkarte erlaubt nur die Mitnahme einer bestimmten Summe in die nächste Runde. Das reicht von 20$ beim Revolverhelden bis hin zu fetten 120$ beim Bankier. Überschüsse müssen zum Zwangskurs von 10:1 umgetauscht werden. Weitere Siegpunkte sind per Aktion drin für die Anzahl eigener Parzellen, Revolver, oder von Gebäuden. Auch nicht zu verachten!

Nur vier Runden sind zu spielen vor dem Showdown – der Endwertung. Das ist nicht sonderlich viel, und so will jede Aktion wohl überlegt sein. Insbesondere die Investition in Stärke kann vom eigentlichen Ziel ablenken. Wer den Revolverhelden wählt, verzichtet auf die Vorteile einer anderen Rolle, und wer die Aktion für die drei Extra-Revolver wählt, muss den entsprechenden Cowboy von anderen Arbeiten freistellen. Der könnte zum Beispiel auch das Land urbar machen, denn zum Schluss schüttet jede eigene, bebaute Parzelle noch zwei Siegpunkte aus. Die stetige Investition in Grund und Boden lohnt sich also und kann das Blatt bei knappen Punkteständen noch zu eigenen Gunsten wenden.

Das Spiel liefert gleich drei Varianten mit. Neben den bereits erwähnten Duellmarkern, welche die Würfel ersetzen, handelt es sich dabei zum einen um die zweite Spielplanseite. Diese zeigt einen Fluss, der den verfügbaren Platz zum Bauen einschränkt und die Regeln für die Gebäudeeinnahmen und –siegpunkte leicht modifiziert. Insbesondere mit weniger Mitspielern bietet dieser Plan eine angenehme Abwechslung, beein“fluss“t (ha, ha) den Spielverlauf aber nicht maßgeblich.
Als weitere Variante kann „Kit Carson“ gespielt werden. Der Name ist freilich eher nichtssagend, aber ich verrate Ihnen natürlich, wie es geht: Anstelle die Cowboys hübsch nach der Reihenfolge einzusetzen agieren alle Spieler gleichzeitig. Umsetzen ist erlaubt! Wer also einem Duell aus dem Weg gehen möchte, kann dies bitte sehr tun. Erst wer sein Passen per Versetzen eines Spielsteines „einloggt“, ist raus aus dem Geschehen.

Ich weiß nicht, wie viele Spieler diese Variante wirklich gespielt haben. Beim Querlesen bisher erschienener Internetrezensionen hatte ich nicht den Eindruck, dass viel mehr als die Grundvariante und diejenige mit den Duellmarkern zum Einsatz kamen. Meines Erachtens eine vergebene Chance! Zugegeben: Es ist nicht ganz einfach, seine Mitspieler von dieser Art des Placements zu überzeugen. Zu groß ist die Befürchtung, dass nach dem eigenen Passen erst die Herausforderungen zu den Duellen auf einen niederprasseln. Reaktionen sind dann nicht mehr möglich.
Erstaunlicherweise trat dieser Effekt in unseren Partien allerdings nicht ein. Nicht zuletzt zu passen birgt eben auch Vorteile: Neben der früheren Rollenwahl zu Beginn der nächsten Runde bildet die Reihenfolge auch den Tie-Breaker bei Gleichständen im Duell. Mit der kleinen Einschränkung, dass auch hier Stänkerer den Spielreiz beeinträchtigen können, transportiert die Variante des simultanen Einsetzens die Wildwest-Atmosphäre am gelungensten. Probieren Sie es mal!

Kathrin Nos

POSTSCRIPTUM:

Bild von Carson City

Für mich ist Carson City eine der im Nachhinein unterbewerteten Perlen des letzten Jahres. Nicht wegen des in letzter Zeit etwas viel gescholtenen „Worker Placements“, sondern wegen der Umsetzung des Themas: Die Sitten sind rau im Wilden Westen. Erst werden die Ranchen und Minen errichtet, die Städter folgen später. Wer wagt, kann viel gewinnen, aber auch verlieren. Risikoscheue Genossen sind eh in der alten Welt geblieben. – Ich fühle mich in jeder Spielminute in einen Western von Gestern versetzt.

Ich spiele es aber in der Würfelvariante – sie passt einfach besser zum Thema. Allen, die nun klagen, dass doch dann der Glücksfaktor so hoch sei, lege ich die erneute Lektüre meiner Überlegungen zu [cref kingsburg] ans Herz: Die Kartenvariante reduziert keinesfalls die Glückskomponente, allein die Wahrscheinlichkeitsverteilung sieht etwas anders aus. So gewinne ich schon z.B. mit einer Pistole im Vorteil in 21 von 36 Fällen. Wenn ich früh aussteige, sogar in 26 von 36 Fällen. Die Würfel folgen nämlich mal wieder der beliebten Binomialverteilung. Mit Karten ist die Lage deutlich schwieriger abzuschätzen, da der Blufffaktor eine – zumindest gefühlt – viel höhere Unwägbarkeit ins Spiel bringt.

Manch ein Spieler klagte mir gegenüber, dass es zu wenig Möglichkeiten gäbe Siegpunkte zu erzielen. Damit käme es zwangsläufig zu spielentscheidenden Duellen um die Tauschfelder „Geld in Siegpunkte“. Ich sehe dies anders. Es kommt vielmehr darauf an zu analysieren, welchen Weg die Konkurrenten einschlagen und dementsprechend andere Süppchen zu kochen. Dass mit jedem Spiel die erreichten Siegpunkte bei uns noch steigen spricht auch dafür, dass Carson City etwas geübt sein will.

Kathrin hat etwas geforscht: Die Simultanvariante wird wohl kaum gespielt. Das ist betrüblich, denn das gleichzeitige Spiel bringt nicht etwa Hektik, sondern
Bild von 1 von 3 Revolver
Prädikat
:
1 von 3 Revolver

mehr Kontrolle: Wenn ein Pistolero mich zum Duell fordert, kann ich jetzt immer noch meine Beine unter den Arm klemmen und davonrennen. Niemand ist gezwungen, rasend schnell seine Cowboys zu setzen. Etwas zu überlegen ist durchaus sinnvoll, der Einfluss aufs Spiel und die taktischen Möglichkeiten nehmen dadurch sogar noch zu. Als angenehmer Nebeneffekt reduziert sich auch noch deutlich die Spieldauer.

Peter Nos

Ein Kommentar

  1. Gute Rezi´. Auch ich finde das CC diesen Herbst etwas ausserhalb des Rampenlichts steht. Vielleicht auch wegen Udo Bartsch, der es ja nicht gern spielt. Es ist auf jeden Fall wert, die Varianten ohne Duellwürfel und die Cowboys simultan einzusetzen mal auszuprobieren. Macht summa summarum 3 Carson City Partien mit einem anderem Spielcharakter. Wenn man dann noch das Spielbrett umdreht…….
    Schöne Tage auf der Messe!

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