Meine Meinung, dass kooperativen Spielen die Zukunft gehört, bekommt immer neues Futter. So steht mit The Game wieder einmal ein überaus einfaches kooperatives Spiel auf der Nominierungsliste. Wieder einmal basiert es auf der Idee der Mehrpersonenpatience. Die Entscheidungsfreiheit der Spieler ist dabei ziemlich gering, und die Regel lässt bewusst Lücken, wie kommuniziert werden darf. Dementsprechend verläuft der Spielablauf je nach Runde zwischen trivial-einfach bis hammer-schwer.

Die Regeln sind einfach. Es gilt die Zahlen 2 bis 99 abzulegen. Jeder hat ein paar Karten auf der Hand und muss in seinem Zug mindestens zwei Karten spielen. Es gibt vier Ablagestapel. Auf zwei dürfen nur größer werdende Werte gelegt werden, die beiden anderen sind absteigenden Folgen vorbehalten.

Die einzige Ausnahme der Ablageregel sind Karten mit dem Abstand 10. Auf die 42 darf auf den wachsenden Stapel auch die 32 gespielt werden. Gewonnen hat die Gruppe, wenn alle Karten abgelegt sind.

Kurz nach Bekanntgabe der Nominierungslisten begann das gewohnte Gezeter ob der Banalität der Listen. So kommentierte die Pöppelkiste:

Mit The Game haben wir wieder ein kooperatives Kartenspiel. Mit ein wenig Mathematikverständnis ist es leicht zu gewinnen, ansonsten bietet es eine düstere, wenig auffordernde Grafik und Frust über übriggebliebene Karten.

Selten habe ich eine Einschätzung gelesen, die insgesamt so exakt das Gegenteil meiner Meinung wiedergibt. Pöppelkiste: The Game: doof; Machi Koro & Orléans: unausgereift; Elysium: überzeugend. Meine Meinung und Erfahrung sind hingegen: Orléans: super, Machi Koro: super; The Game: super; Elysium: oh je! Im Gegensatz zur Pöppelkiste finde ich übrigens, dass Deus eines der stärksten Spiele des Jahrgangs ist. Weshalb ein beliebtes Spiel wie Wie Verhext! in einer aktualisierten Variation nicht ein zweites Mal erwähnt werden darf, ist mir schleierhaft. Meine Sache ist das Spiel nicht, aber Broom Service ist doch deutlich mehr als eine Neuauflage von Wie verhext!

Bild von The Game

Bleibt noch Colt Express. Laut Pöppelkiste hat dies einen „politisch nicht korrekten Hintergrund“. Manchmal wundere ich mich schon, wie prüde und verklemmt Teile der Spieleszene sind. Thematische Probleme bei Colt Express heraufzubeschwören wirkt auf mich etwa so durchdacht wie Sebastian Wenzels Sexismusalarm in der Spielbox, weil – hört, hört, nein: seht, seht – auf einem Spielecover Teile eines Busens sichtbar waren. Aus dieser Richtung kommt wahrscheinlich auch die Kritik am Design von The Game. Ok, die Aufmachung ist schlicht – aber sie passt: Der Kopf erinnert an einen Golem, der in der Tretmühle der Spielmechanik eingepresst ist. Gleich den Geistern des Zauberlehrlings rattert die unstoppbare Kartenflut hoch und runter. Zack, schon sind wir bei Goethe und damit bei einem weiteren Punktsieg für das Kulturgut Spiel.

So richtig kann ich auch die Argumentationskette: „… leicht zu gewinnen … Frust über übriggebliebene Karten“ nicht verstehen. Ist The Game jetzt zu leicht oder frustrierend?

Inspirierend ist aber der Hinweis auf ein wenig benötigtes Mathematikverständnis. Das nahm ich zum Anlass einmal die Solovariante von The Game genauer zu analysieren. Da es wirklich häufig gelingt, in der normalen Version alle Karten abzuspielen, konzentrierte ich mich auf die Profivariante mit nur 7 Karten und dem Zwang drei Karten zu legen. Um schneller einen Überblick zu bekommen, habe ich ein kleines Programm geschrieben, um ein paar Partien zu spielen. In einem zweiten Schritt wollte ich dann einfache Algorithmen auf das Spiel loslassen, um zu sehen, welcher Prozentsatz der Spiele sich rein mechanisch lösen lässt. Der erste Ansatz wäre dafür: „Spiele die kleinste Differenz, außer es sind irgendwelche Zehnerabstände realisierbar und spiele immer genau drei Karten“ gewesen. Doch als ich begann mit dem Programm manuell herumzuspielen, musste ich schnell feststellen, dass The Game als Computerversion sich kaum erfolgreich beenden lässt. Nur selten schaffe ich es in der Profivariante auf weniger als 10 Karten herunterzukommen. Am Tisch mit Karten ist dies hingegen überhaupt kein Problem, ohne größere Denkanstrengungen jeden dritten bis vierten Versuch mit einem Sieg zu beenden.

Ich vermute mittlerweile, dass es an schlecht gemischten Karten liegt. Guido hat auf Tric Trac neulich auf eine Untersuchung hingewiesen, dass Karten mindestens 7 mal gemischt werden sollten, doch wer ist schon so gründlich? Während des Spieles sortieren sich die Karten. Durch schlechtes Mischen sind damit die Chancen erhöht, dass im nächsten Spiel die Karten etwas passender kommen. Im Spiel danach verstärkt sich der Effekt noch, und so kommt es schließlich nach wenigen Durchgängen zum Erfolgserlebnis. Nun mal ehrlich: Stört dies bei einem kooperativen Familienspiel? Zunächst steigt die Motivation es nochmal zu probieren, aber bevor der Frustfaktor eines zu hohen Schwierigkeitsgrads zuschlägt, stellt sich ganz subtil ein Erfolgserlebnis ein.

Mein kleines Projekt will ich trotzdem weiterverfolgen, vermutlich versuche ich einen selbstlernenden Algorithmus auf das Problem loszulassen. Ich glaube mittlerweile aber, dass es unbedingt notwendig ist, die schon gespielten Karten in die Berechnungen einzubeziehen, sonst landen die Serien zu schnell in Sackgassen. Als zweites Experiment will ich alternativ auch ein schludriges Mischverfahren ausprobieren.

In dieser Sicht war der Kommentar doch anregend. „Leicht“ lässt sich The Game höchstwahrscheinlich zwar nicht lösen. Vielleicht stehe ich auch nur auf dem Schlauch, mehr als „wenig Mathematikverständnis“ ist zum Durchdringen der inneren Spiellogik aber sicherlich notwendig. Mich hat The Game gerade wegen seiner trügerischen Leichtigkeit überzeugt.

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Prädikat
: 2 von 3 Robotern

8 Kommentare

  1. Klingt interessant. Womit hast du denn den nativen Algorithmus geschrieben? Und wie willst du den Selbstlerner umsetzen? Ich denke, dass ein virtueller Spieler mit Gedächtnis, der auf MCTS beruht, eine durchaus realistische Chance hat, einen Großteil der „gewinnbaren“ Spiele auch zu gewinnen; hier könnte aber die Laufzeit zum Problem werden. Ich würde mich freuen, wenn du deine Leser weiterhin an deinem Experiment teilhaben lässt.

    Beste Grüße, Christopher

  2. Avatar-Foto Reinhard Staupe

    Hallo Peter!

    Wie überaus witzig und passend! Vor genau 1 Stunde (!) habe ich mit meinem Bruder telefoniert und ihn gebeten, doch mal per PC-Programm herauszufinden, wie oft man die Solovariante von The Game gewinnt. Voraussetzung: unterschiedliche Spielweisen, von einfach immer nur die beiden aktuell besten Karten (kleinste Differenz) legen, bis hin zur Berücksichtigung bereits gespielter Karten. Und zack: lese ich Deine Rezi dazu. 🙂

    Nun ist die Solo-Variante ja sozusagen eine wunderbare Dreingabe: man kann The Game auch prima alleine spielen – eben als Patience. Umso interessanter (und schwieriger zu eruieren) wird das Ganze, wenn man nach der Gewinnbarkeit des Mehrpersonenspiels fragt. Denn mit zunehmender Teilnehmerzahl entwickelt sich The Game ja von der reinen Patience immer stärker hin zu einem faszinierendem Kommunikationsspiel, ja einem Kommunikatiosritt. Soll heißen: Wie geht The Game aus, wenn das Team perfekt miteinander kommunizieren und entsprechend spielen würde? Vereinzelt war im Internet zu lesen, dass die Kartenverteilung von großer Bedeutung ist. Ich habe mal ein wenig in dieser Richtung getestet und bin nach jezigem Stand der Überzeugung, dass das Mehrpersonenspiel fast immer gewinnbar ist (bzw. mit ganz wenigen Karten endet) – nahezu unabhängig von der Kartenverteilung! Mit anderen Worten: Wenn das Team kläglich scheitert, dann liegt das am Team, an der mangelnden Kommunikation und am nicht-idealen Agieren.

    Ich persönlich spiele generell deshalb so unglaublich gerne, weil es eine wundervolle Möglichkeit der Kommunikation mit anderen Menschen ist (daher auch meine über 1000 Werwolfpartien). Und genau deshalb hat mich The Game auch von Anfang an so gefesselt. Wie gut sind wir als kommunizierendes Team? Wie funktionieren wir gemeinsam? Und eben gleichzeitig eine Ansage an dieses böse Game im dunklen Hintergrund: lach du nur, WIR werden dich am Kragen packen und niederringen! 🙂

    Bin gespannt auf weitere Siegchancen-Erkenntnisse.

    Viele Grüße,
    Reinhard Staupe (Redaktion Nürnberger Spielkarten)

    • Hallo Reinhard,

      ja, der Schwerpunkt des Mehrpersonenspiels liegt in der Kommunikation. Wenn es einer Gruppe gelingt effizient im erlaubten Rahmen Informationen auszutauchen, dann steht ihr eine viel größere Menge spielbarer Karten zur Verfügung. Kompliziertere logische Überlegungen können dann in den Hintergrund treten.

      Ein Solospiel mit 9 Handkarten gewinnt der einfacher Algorithmus schon in über 5% aller Fälle, bei 10 Handkarten springt die Siequote auf über 15% (11 Karten: 50%, 12 Karten: 65%, 13 Karten: 85%, 14 Karten: fast 100%). Jede Information, die die quasi verfügbare zu spielende Kartenmenge vergrößert, lässt die Siegchance also drastisch steigen.

      Die heiß diskutierte Frage ist natürlich was als Kommunikation gerade noch erlaubt ist ober besser: Wie lässt es sich kommunizieren, ohne in den „grauen“ Bereich abzudriften. Das muss aber jede Gruppe selbst regeln, bzw. herausfinden.

      Viele Grüße,
      Peter.

  3. Ich habe auch mal einen sehr naiven Algorithmus geschrieben. Siegquote für die normale Version 1,34% bei 10000 Simulationen mit durchschnittlich 21 Restkarten, wobei immerhin in 10% der Fälle der Nachziehstapel aufgebraucht wurde. Für die Halb-Profiversion (8 Karten, 3 spielen) sind es nur noch 0,3% und die Profiversion wird hingegen nie gewonnen mit 36 Restkarten im Schnitt. Gedächtnis wird also eine wichtige Rolle spielen. Werde bei Gelegenheit versuchen, einen besseren Algorithmus zu konzipieren.

    • Hallo Christopher,
      auch von mir gibt es jetzt einen sehr einfachen Ansatz mit ähnlichen Ergebnissen nach 10.000 Durchgängen.
      Normales Spiel: 2,6% Siegquote, 20 Restkarten im Schnitt
      Halb-Profi: 0,7% Siegquote, 26 Restkarten
      Profi: 0,2% Siegquote (21 von 10118 Spielen), 30 Restkarten

      Mittlerweile nehme ich an, dass ein besserer Ansatz nicht einzelne Karten optimiert, sondern immer einen ganzen Zug betrachtet und nicht die kleinsten Differenzen, sondern die Menge der überhaupt noch erreichbaren Karten berücksichtigen muss.

      Eine Baumsuche per Monte Carlo will ich auch mal ausprobieren, wahrscheinlich aber erst in einigen Tagen/Wochen… (Zeitmangel).
      viele Grüße,
      Peter.

  4. Avatar-Foto Jörg Domberger

    Ist die graue Theorie nicht wertlos?
    The Game macht Spaß!
    Das zählt.
    Verspielte Grüße
    Jörg

    • Avatar-Foto Reinhard Staupe

      Hallo Jörg!

      Du hast vollkommen Recht: The Game macht Spaß, und genau so soll es auch sein, das ist letztlich das alles Entscheidende. Mir hat sich beim Solo-Spiel kürzlich jedoch eine interessante Frage gestellt: Wieso spielt das menschliche Gehirn nahezu intuitiv besser als ein Computerprogramm, das stets das geforderte Minimum von 2 Karten spielt (hierbei natürlich die aktuell besten Karten mit der kleinsten Differenz verwendet), gegebenenfalls den Rückwärtstrick anwendet und dann Karten nachzieht?

      Konkret: Spielt der Computer wie beschrieben, hat er am Ende durchschnittlich 20 Karten übrig. Das ist ein ziemlich mieses Ergebnis. Wenn man dann selbst mal einige Solo-Partien hintereinander wegspielt, wird man im Durchschnitt ziemlich sicher besser abschneiden – und das, ohne sich vorab analytisch damit auseinanderzusetzen! Aber wieso genau? Was mache ich eigentlich, das mein Spiel verbessert? Ich habe dann mal ganz gezielt während des Spielens darauf geachtet, was ich eigentlich tue. Hat fast schon was Philosophisches: Was mache ich hier eigentlich? 🙂

      Und Peters Siegchancen-Erkenntnisse bei steigender Kartenzahl belegt sehr eindringlich, was ich bisher mutmaßte: Mehrpersonenpartien sind nahezu immer gewinnbar – wenn man perfekt miteinander kommunizieren und agieren würde. Nur, wer kann das? Insbesondere im Rahmen der Regeln! In meinen hiesigen Runden scheitern wir regelmäßig. Was nichts anderes heißt als: wir scheitern an uns.

      Ein faszinierendes Game. 🙂

      Viele Grüße,
      Reinhard

  5. Wieder eine Rezi die dazu führt das ich es sehr schade finde, das hier leider nicht mehr so viel passiert. Auch die Rezi zu Manhattan Project fand ich so sehr gelungen – die Auseinandersetzung mit dem Thema an sich und die Literaturhinweise finde ich klasse. Aber das sind ja nur 2 Beispiele. An dieser Stelle einfach mal Danke für die von Euch geleistete Arbeit, die mir und vielen anderen so viel Freude bereitet.

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