Wikinger – Die Vergessenen Eroberer

Erstveröffentlichung im Dezember 2007 in Fairplay Nr. 81. >>Direkt zum Postscriptum springen.

Aller guten Dinge sind drei

Weshalb sich die Normannen um 50 vor christlicher Zeitrechnung wieder zurück in den Norden begeben haben, kann man bei „Asterix und die Normannen“ nachlesen – Lesen bildet: Sie haben gelernt, was Angst ist und brauchten ein paar Jahrhunderte, um sich davon zu erholen. Kurz nach dieser Erholung setzt WIKINGER – DIE VERGESSENEN EROBERER im Frühmittelalter ein: Allmählich trauen sich die Drachenschiffe wieder in die bisher von Wikingern unbelästigten Gewässer. Was sie in der Zwischenzeit gemacht haben, wird beim Spielen klar: Sie haben das Zählen bis drei geübt. Deswegen darf man immer wieder diese neu erworbene Wikinger-Fähigkeit beim Spielen trainieren. Beispiele gefällig? Gestartet wird von drei Heimathäfen: Schweden, Dänemark und Norwegen. Auch der zu erledigenden Aufgaben gibt es drei: Raubzüge unternehmen, Handel treiben und Siedlungen gründen!

Keine Angst, das ist gar nicht kompliziert: Jeder hat reihum eine Woche lang Zeit, um zu agieren: An jedem der sieben Tage dieser Woche kann jeweils eine Aktion ausgeführt werden. Startpunkt ist zu Beginn des Spiels das Winterlager: Wer sich hier befindet, kann Wikinger anheuern und Waren an Bord laden. Hierher zurückkehren kann man später jeweils am Ende des eigenen Zuges. Natürlich gibt es drei verschiedene Waren. Für jeden Mann Besatzung sowie für jedes Handelsgut muss man je einen Tag investieren. Jeder Spieler kommandiert ein Schiff, das zunächst fünf Plätze bietet, die wahlweise von Personal oder Material belegt werden können. Im Laufe des Spiels weitet sich die Kapazität auf bis zu sieben aus. Denn wir spielen in Epochen, deren Anzahl wohl mittlerweile klar sein sollte.

Wer sein Schiff startklar gemacht hat, kann vom Winterlager wahlweise nach Dänemark, Schweden oder Norwegen ziehen. Hier kann man Runen in Form von zufällig gezogenen Karten sammeln, die einmalig eingesetzt werden können und etwa für verbesserten Nachschub sorgen, sowie Bewegung oder die Durchführung der Aufgaben verändern können. Auch dies kostet pro Rune einen Tag. Wie viele Runen man wohl haben darf? Richtig, drei!

Nun werden die Segel gesetzt und die Fahrt geht los. Selbstredend kostet auch dies Tage – für jede Bewegung von Meerfeld zu Meerfeld wird eine Einheit dieser Aktionspunkte-„Währung“ abgerechnet. Da es sich im kalten hohen Norden entbehrungsreicher segelt als im warmen Mittelmeer, darf man in verschiedenen Meer-Regionen unterschiedlich weit ohne Verluste fahren. Wer keine Angst hat und mehr Tage zu segeln wagt, als das im aktuellen Gewässer geltende Limit erlaubt, muss dies mit dem Überbordwerfen von Besatzung oder Handelswaren bezahlen, die erst durch Rückkehr ins Winterlager wieder aufgestockt werden können. Mehr als drei Verluste kann man jedoch nie erleiden.

Aber die gesetzten Ziele des Brandschatzens, Handelns und Siedelns kann man natürlich nicht auf hoher See erreichen. Hierzu legt man in Häfen an. Die Küsten bieten zum einen einige freie, zum anderen auch Regionen aus – natürlich drei – zusammengehörigen Häfen. Einige davon gehören zu befestigten Städten, die man per Raubzug besiegen kann. Dies kostet nicht einmal eine extra Aktion – es handelt sich also mehr um Blitzüberfalle. Dazu legt man in einem befestigten Hafen an. Dieser hat einen Kampfwert zwischen 2 und 5. Auch wenn die Zahl drei damit allmählich überstrapaziert zu werden droht, begegnet sie den Angreifern hier schon wieder: Bis zu drei Mal darf man per einfachem Würfelwurf versuchen, den Kampfwert des Hafens zu übertreffen: Scheitert man, hat man den Verlust eines wackeren Wikingers zu beklagen. Gelingt der Raubzug, gehört einem die Stadt mit ihren Siegpunkterträgen, die verdeckt verteilt wurden.

Besonders stark befestigte Städte kann man für den Angriff durch Handel in Sicherheit wiegen: Jeder Hafen kann mit einem Handelsgut versorgt werden. Nur die Regionen mit mehreren Häfen sorgen hier für eine Einschränkung: Innerhalb eines Verbundes dürfen nur unterschiedliche Waren an die zugehörigen Häfen geliefert werden. Eine bereits belieferte Hafenstadt ist leichter einzunehmen, was sich in einem um eins reduzierten Kampfwert ausdrückt. Warum lässt sich eine Stadt leichter einnehmen, bloß weil man ein paar Kisten mit Häuten, Stoßzähnen oder Fellen abgeladen hat? Wer weiß, vielleicht konnte man beim Schleppen der Waren einen Blick auf die möglichen Schwachstellen der Befestigung werfen.

Auch Häfen ohne befestigte Stadt kann man mit Waren versorgen – und da der Handel eines der erklärten Ziele ist und überdies ganz ohne den Verlust in der eigenen Mannschaft Siegpunkte einbringt, ist dies kein allzu schlechter Deal. Zwei der drei Aufgaben sind damit bekannt. Zu Raubzug und Handel kommt als zweite Angriffsmöglichkeit und Zielaufgabe Nr. 3 das Siedeln, bei dem ebenfalls die Würfel geschwungen werden. Zunächst ist zu entscheiden, mit wie vielen Mannen der Angriff gestartet wird: Ich brauche kaum zu erwähnen, wie groß der Brutaltrupp werden darf. Wieder gilt: Ist der Wert des Hafens übertroffen, klappt die Besiedelung. Jeder Fehlschlag kostet jedoch einen Wikinger. Der Unterschied zum Raubzug besteht darin, dass Letzterer mit dem ersten Wikinger gelingen kann und danach kein weiteres Risiko erfordert – bei der Besiedelung setzt immer jeder zuvor abkommandierte Angreifer sein Leben aufs Spiel. Ein Nordmann muss nun als Besetzer vor Ort bleiben und nach dem Rechten schauen. Damit ist auch zu erklären, dass auch hier wie bei allen drei Zielaufgaben keine Aktion draufgeht: Die langwierige Arbeit des tatsächlichen Siedelns erledigt der zurückgelassene Kollege – den blitzartigen Überfall schaffen wir kurz und knackig vom Schiff aus. Dieser Kamerad braucht tatsächlich einen Moment, um den Gewinn abzuliefern, denn er wird erst zu Spielende Siegpunkte einfahren, und hier dürfen wir die Dreier-Mystik nun vollends perfektionieren: Entweder beziffert sich der Ertrag einer Siedlung einfach aus dem Wert des Hafens. Bei Häfen aus einer Dreiergruppe kann sich der Wert verdoppeln oder verdreifachen, wenn von den anderen beiden Häfen dieser Region einer oder zwei ebenfalls besiedelt wurden. Alles klar?

Dass immer mal andere Häfen und Regionen in den Blickpunkt der Kommando führenden Jarls ­– der Wikinger-Kriegsherren also known as Spieler – geraten, dafür sorgen die Sagakarten, die als Aufgabe die Eroberung oder Besiedelung von oder den Handel mit festgelegten Häfen verlangen: Wer für die Komplettierung einer der jeweils offen verfügbaren drei (sic!) Sagas sorgt, erhält die entsprechende Sagakarte. Da sich die Aufgaben meist über mehrere Zielhäfen erstrecken, kann die Vorarbeit sogar durch einen Mitspieler geleistet worden sein. Die Früchte dieser Arbeit pflückt aber immer derjenige, der den letzten Handschlag getan hat. Sind alle Sagas durchgespielt, kommt es zur Schlusswertung, in der eine errungene Sagakarte bis zu zehn Punkte wert sein kann: Jede Saga gehört zu einem der Länder Dänemark, Schweden und Norwegen. Für jedes dieser Länder wird eine Mehrheitenwertung durchgeführt: Wer die meisten Sagas hierfür bestritten hat, darf die versprochenen zehn Punkte pro Karten einheimsen. Nur zwei Drittel der verfügbaren Sagas spielen in einer Partie mit, so dass die Siegpunktausschüttung der drei Länder nicht gleichmäßig sein muss.

Der Fahrplan ist also klar: Ziel herausdeuten, ausrechnen, ob ein Mitspieler eher dort sein kann, entsprechend aufrüsten und in See stechen. Im Laufe des Spiels ist durch eine grobe Vorsortierung der Sagakarten dafür gesorgt, dass sich die Schwerpunkte in immer weiter entfernte Orte verlagern. Man kann also die Ausbreitung der Wikinger nach und nach miterleben. Die Konkurrenz der Spieler untereinander findet nicht in direkten Auseinandersetzungen statt, da etwa fremde Siedlungen nur im Einzelfall durch spezielle Runenkarten per Angriffswurf den Besitzer wechseln können – es geht mehr darum, geschickt vor den anderen die gesetzten Ziele zu erreichen und damit die Mitspieler zum Ändern ihrer Pläne zu zwingen.

Die Züge der Mitspieler zwischen zwei eigenen Zügen ändern meist nicht so grundlegend viel, dass man vor völlig neuen Voraussetzungen steht. Man kann durchaus vorplanen, was dem Spielfluss sehr zugute kommt. Wer zwar das Zählen bis drei bravourös beherrscht, bei der Aufgabe des Aktionspunktezählens bis sieben jedoch Schwierigkeiten hat, kann auf eine Zählleiste auf dem Spielplan zurückgreifen und jede einzelne Aktion markieren – da sich aber in meinen Spielrunden fortgeschrittene und damit zählkräftige Wikinger befanden, packe ich die entsprechenden Zählmarker in die Sparte „Spielmaterial, das die Welt nicht braucht“.

Schwer ist es, während der Partie ein Gefühl für den Punktestand zu bekommen: An vielen Stellen werden bereits während des Spiels Siegpunkte ausgeschüttet. Wer sich hier häufig aus dem Vorrat bedienen darf, wird gerne als führender Spieler wahrgenommen. Wer hingegen Angriff um Angriff verwürfelt und durch Pech damit viele Aktionen für Aufrüsten und Losfahren investieren muss, verbreitet keine Angst und scheint erst einmal kein gefährlicher Gegner zu sein. Der Hauptanteil der Punkte besteht jedoch aus den Mehrheitenwertungen der Sagakarten sowie der Auswertung der Siedel-Wikinger. Eine weitere Ausschüttung in Form des so genannten „Blutaxt-Bonus“ erhält der erfolgreichste Städteschleifer. Und die Berechnung dieser Punkte gestaltet sich bei Spielende zu einer wahren Rechenorgie!

Klar sollte bis hierher sein: Einen Strategiehammer erhält man nicht mit WIKINGER – DIE VERGESSENEN EROBERER. Zu sehr muss man sich immer wieder neu auf die Begebenheiten aus Schlachtenglück und aktuellen Sagas einstellen. Ein wirklich kriegerisches Spiel erwartet einen auch nicht – vielmehr handelt es sich um eine atmosphärische Erlebnisreise mit Überraschungsausflügen, der man sogar den Stempel „Fit for Family“ aufdrücken dürfte. Mehr als das verspreche ich aber nicht.

Kathrin Nos

POSTSCRIPTUM: Wikinger - Die Vergessenen Eroberer Momentan findet in Speyer eine Ausstellung über Wikinger statt. Löblicherweise gab es im Museumsshop unter anderen Spielen auch die beiden aktuellen Wikingertitel von Hans im Glück und Pro Ludo zu erwerben.

In der Ausstellung selbst fiel uns auf, dass die Ragnar Brothers sehr viel mehr historisch korrekte Details in ihr Spiel einfließen lassen haben, als wir vermutet hätten. Nicht nur Orte und Länder, sondern auch die Abfolge der Ereignisse und die Kombination aus Handel und Seeräuberei sind im Spiel verblüffend genau nachgestellt. Natürlich erinnerten wir uns auch an vergangene Partien des Spiels Britannia. Bei Wikinger wird Geschichte jedoch nebenbei vermittelt, ohne den Mechanismus historisch korrekt zu überladen.

Bei Luding tummeln sich mittlerweile eine ganze Reihe von Kritiken zu den vergessenen Eroberern. Das Spiel scheint allgemein nicht allzu gut angekommen zu sein. Die Hauptkritikpunkte sind neben der schlecht strukturierten Spielregel, die lange Spieldauer und der hohe Glücksanteil. Dies verwundert mich ein wenig. Länger als 90 Minuten dauerte nur unsere erste Partie, bei der wir vor dem Spiel vergessen hatten, ein Drittel der Sagakarten auszusortieren. Sicherlich braucht es auch einiges an Glück, um bei Wikinger zu gewinnen. Doch die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten ist ziemlich einfach, 1 von 3 Wikingerschiffen
Prädikat:
1 von 3 Wikingerschiffen
und ab der zweiten Partie sind die Züge der Mitspieler einigermaßen vorhersehbar. Somit war es zumindest in unseren Runden immer möglich, den nächsten Zug vorzuplanen und schnell abzuwickeln. Wenn man dem Vorschlag der Regel folgt, nur die originalen Runenkarten zu nehmen, und somit die unausgewogenen Extrakarten der deutschen Version wegzulasseb, so wird das Spiel gleich taktischer. Frustrierende Glücksmomente und lange Wartezeiten sollten also eigentlich nur im ersten Spiel vorkommen.

Peter Nos

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