Age of Empires III

Es gibt Spiele, die schon beim Anblick der Schachtel Abscheu erwecken. Age of Empires III fiel für uns in diese Kategorie. Schon der Name läßt üble vielstündige Counterschlachten mit Würfelmassen befürchten. Ich kenne kein Beispiel für eine gelungene Umsetzungen von Echtzeitstrategiespielen, oder allgemein von Brettadaptionen von Computerspielen. Gewissenhafte „Eurogamer“ schrecken sowieso vor allen Spielen zurück, die mit Horden von Plastikfiguren werben. Age of Empires III besitzt deren 400 und auch sonst verspricht die Schachtel alle Voruteile zu bestätigen: In Pulverwolken prallen Armeen aufeinander – martialischer geht es kaum mehr! Der Preis von 50€ besiegelt schließlich die Entscheidung: Das Spiel kommt nicht auf unseren Tisch.

Soweit war alles im Sommer 2007 geklärt. Dann lasen wir eine überschwängliche Kritik in der Spielbox und ein Jahr später brachte Bernd sein Exemplar mit zum Sauerländer Spieletreff in Bilstein, um es doch einmal mit uns zu spielen. – Selten wurde wir so enttäuscht: Denn die Schachtel beherbergt nicht nur die 400 fast ununterscheidbaren Plastifiguren, sondern auch ein echtes Aufbau-Wirtschaftsspiel im Zeitalter der Renaissance.

Age of Empires III

Es geht darum, die Neue Welt zu entdecken, ihr die Segnungen des alten Europas zu vermitteln und mit Handel reich zu werden. All dies bringt begehrte Siegpunkte. Wie jeder weiß, sind Siegpunkte eine notwendige Voraussetzung zum Gewinn etwa jeden zweiten Spieles. Doch seien diese schnöden und themenfeindlichen Siegpunkte noch einen Moment vergessen. Denn Age of Empires III spielt man nicht nur um zu gewinnen, sondern auch wegen des Spaßes am Thema, am Spiel und der Atmosphäre.

Das Spiel verläuft ziemlich indirekt. Wie schon in vielen anderen modernen Spielen setzen die Spieler reihum ihre Siedler auf dem Spielplan ein, um später im zweiten Teil der Runde bestimmte Aktionen ausführen zu können. Zu  Beginn der ersten Runde hat jeder 5 Kolonisten, im Lauf der nächsten 7 Runden können es aber mehr werden. Acht verschiedene Aktionen stehen zur Verfügung:

  • Weiterbildung: Wer seinen Siedler die Schulbank drücken lässt, bekommt ihn in der nächsten Runde als ausgebildeten Mönch, Soldaten, Händler oder Kapitän zurück.
  • Kolonisieren: Die Siedler werden mit dem nächsten Schiff nach Amerika geschippert und können sich dort in schon entdeckten Gebieten niederlassen. Wer zuerst drei Siedler in einer Kolonie hat, bekommt eine wertvolle Handelsware. Einmal angekommen lassen sich die Siedler nieder und betreiben Ackerbau. Insbesondere ziehen sie nicht übers Land, führen keinen Krieg und sind außer für Siegpunkte zu nichts mehr Nutze. Ein Mönch in der neuen Welt bekehrt noch schnell einen Eingeborenen, bevor er sich zusammen mit diesem zum Betreiben von Ackerbau niederlässt. Eine andere Erklärung dieses Spielvorgangs wäre: „Der Pfarrer hat einen schwachen Moment“. Händler verkaufen vor ihrer Konvertierung zum Bauern den Eingeborenen wertvolle Glasperlen im Wert von 5$. Soldaten schließlich, nun ja Soldaten bleiben Soldaten und stehen erstmal in der Neuen Welt dumm rum.
  • Entdeckungen: Dies ist das Sammelbecken für all den Abschaum, für den es keine bessere Verwendung gibt. Der Abschaum spielt aber eine wichtige Rolle, denn ohne Entdeckungen gibt es nichts zu kolonisieren. Deshalb schicken die  Spieler immer mal wieder 1-6 Entdecker los, die zufällig auf 1-6 Eingeborene treffen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Entdecker überwiegen und rotten die Eingeborenen einfach aus, um große Haufen $ nach Hause zu schicken. Oder es gibt mehr Eingeborene, dann frönen diese ihren kannibalischen Trieben. Kapitäne sind effektive Entdecker, sie zählen für zwei Eingeborene. Soldaten wiederum sind ausgebildete Plünderer und schicken ein paar Extra-$ zurück in ihre Heimat.
  • Handelsgüter: Ich erwähnte ja schon die Handelsgüter. Diese sind notwendig, um im Spiel zu Geld zu kommen. Jeder Siedler in dieser Kategorie bringt dem Spieler ein Handelsgut, das man bis zum SpielEn.de behalten darf. Drei oder vier gleiche bedeuten jede Runde 3 oder 6$ Einnahmen.
  • Handelsschiffe werden versteigert. Wer die meisten Siedler in einer Runde hier einsetzt, bekommt ein solches Schiff, das als Handelsgutjoker dient. Kapitäne und Händler zählen doppelt.
  • Gebäude: Für 10-20$ können die Siedler Gebäude erwerben, die fortan kleine Vorteile bringen. Ein Kloster erlaubt zum Beispiel jede Runde einen zusätzlichen Mönch einzusetzen. In den beiden letzten Runden gibt es spezielle Gebäude zu kaufen, die viele Siegpunkte versprechen, z.B. 4 Punkte für jedes Handelsschiff.
  • Initiative legt die Spielreihenfolge der nächsten Runde fest.
  • Krieg ist schließlich ziemlich unbedeutend. Siedler in diesem Bereich sind Postboten und überbringen Kriegserklärungen. Daraufhin schießen alle Soldaten in einer Kolonie einmal auf einen anderen Spieler.

Natürlich gibt es jede dieser Aktionen nicht beliebig oft, und oft ist es wichtig zuerst in einem Aktionsbereich zu stehen. Denn dann darf man zuerst entscheiden, und die anderen müssen mit den Überresten vorlieb nehmen.

Nach der Einsetzphase werden die acht Bereiche ausgewertet. Dann folgt ein wenig Verwaltung und nach Runde 3 und 6 und 8 gibt es Siegpunkte für Kolonistenmehrheiten in der neuen Welt. Nach Runde 8 endet schließlich das Spiel und es gibt noch Extrapunkte für Entdeckungen, Handelsgüter und Gebäude – und das Spiel ist nach zwei unterhaltsamen Stunden vorbei.

Wer gut aufgepasst hat, wird die Beschreibung der Würfel- und Counterschlachten vermisst haben. Die habe ich nicht etwa elegant verschwiegen, nein – sie gibt es nicht. Genauso fehlen die lustigen „Aktionskarten“ um mehr „Interaktion und Würze“ ins Spiel zu bringen. Das Spiel ist somit erfreulich schlank und geradlinig. Bis auf kleine Details sind wirklich alle Regeln oben erwähnt.

Uns überzeugten die Partien in Bilstein und schon bald zierte auch ein Exemplar unser Spieleregal. In fast allen der folgenden Spielen wiederholte sich ein kleiner Tanz: „Was, so ein Spiel besitzt ihr? Müssen wir das wirklich spielen?“ – 2 Stunden später: „Ein schönes Spiel, das sollten wir uns auch kaufen!“ – Erfreulicherweise erschien das Spiel zur Messe in Essen bei Pro Ludo in einer deutschen Ausgabe und ist somit wieder gut erhältlich.

Der Spielspaß erwächst weniger aus originellen Ideen, sondern ergibt sich vielmehr durch die geschickte Vermengung bekannter und beliebter Spielelemente, einer dichten thematischen Einbettung und einem hohen Spieltempo durch kurze Spielzüge. Weitgehend wurde auch auf destruktive und bis auf eine Ausnahme auch auf frustrierende Mechanismen verzichtet.

Das Spiel besitzt eine angenehme Komplexität. In einem Spielzug wird immer nur ein Siedler einer Aufgabe zugeordnet. Oft gibt es dabei nur drei oder vier echte Optionen, doch es entwickelt sich eine enorme Spieltiefe, da eben auch die Aktionen der Mitspieler berechenbar sind. Während in der ersten Partie die Spieler beschäftigt sind ihre eigenen Aktionen zu verwalten, ist der Blick auf die Spielreihenfolge und die Pläne der Mitspieler in erfahrenen Runden sehr wichtig. „Welche Aktionen kann ich auch später wählen? -  Was sollte ich sofort besetzen? – Wie wird es in der nächsten Runde aussehen? – Wie viele Siedler und Spezialisten können die anderen noch einsetzen?“  – Und am wichtigsten: „Was bringt eigentlich Siegpunkte?“ Denn das Spiel verleitet zum Investieren, entwickeln und Geld scheffeln. All dies bringt aber nicht direkt Siegpunkte. In so mancher Runde errang der im Spiel dominanteste oder reichste Spieler nur den zweiten oder dritten Platz. Es gibt durchaus verschiedene Optionen, um Siegpunkte zu scheffeln:

  • Kolonisieren: Wer viele Siedler in die neue Welt bekommt, kann mit diesen bis zu drei Mal punkten. Während die erste Wertung noch vernachlässigbar ist, werden in der zweiten und dritten sehr viele Punkte vergeben. Leider versucht meist auch die Konkurrenz sich in Amerika niederzulassen, und freie Plätze im Kolonistenschiff sind rar. Wer diese Strategie verfolgt, sollte deshalb versuchen genügend Mönche auszubilden und sicherstellen, zuerst drei Siedler in eine Kolonie zu platzieren, um das dort liegende Handelsgut zu bekommen. Erschwert wird dies jedoch durch die Tatsache, dass Entdecker immer einen ihrer Abenteurer als Kolonisten hinterlassen.
  • Entdeckungen: Wer entdecken will, braucht gute Nerven. In diesem Bereich winken viele – vielleicht sogar die meisten – Siegpunkte. Doch um sie zu bekommen, braucht man ein wenig Glück. Wer zum Beispiel mit 5 Soldaten einen Ministamm mit nur einem Eingeborenen entdeckt, bekommt nur wenige Punkte und noch weniger Gold geschickt. Umgekehrt will man auch keinen Totalverlust erleiden. Aus meiner Erfahrung ist das Eingehen gewisser Risiken bei Entdeckungen durchaus lohnenswert. Mit einem Blick auf die Verteilung der möglichen Eingeborenenstämme in Verbindung mit den schon entdeckten Gebieten läßt sich der Erwartungswert maximieren. Diese Rechnung lohnt immer! Beim Entdecken sollte man aber auch die folgenden Kolonisationsmöglichkeiten im Blick haben. Insofern bietet sich eine Kombination der Entdeckerstrategie mit der Kolonistenstrategie an. Leider benötigen beide viele Siedler zu ihrer Umsetzung. Die Entdeckerbox ist neben der Ausbildung übrigens die einzige Möglichkeit, Siedler in eine Folgerunde zu übernehmen. Davon kann man durchaus taktisch Gebrauch machen: Manchmal lohnt es mit Blick auf die Spielreihenfolge eine Entdeckung um eine Runde zu verschieben, manchmal lohnt es nur einen kleinen Trupp aus Kundschaftern vorauszuschicken.
  • Handel und Bauen: Der Wert der Handelswaren wird zu SpielEn.de auch als Siegpunkte gutgeschrieben. Dies sind wahrscheinlich selten spielentscheidend. Doch wer viele und vor allem die richtigen Handelsgüter besitzt, kann häufig neue Gebäude errichten. Dies funktioniert insbesondere, wenn die Mitspieler sich zu sehr auf Entdecken und Siedeln konzentrieren und den Händler günstig Handelsschiffe abstauben lassen. Beim Bau von Gebäuden gilt es jedoch abzuwägen, welche im Laufe des Spiel überhaupt noch sinnvoll sind. Vor allem einige zunächst unattraktiv erscheinende, wie z.B. die Universität – mit der man einmal spontan erster sein darf – kann für den auf Geld spezialisierten Spieler siegentscheidend sein. Geld allein macht aber nicht glücklich. Immerhin ist aber mehr als die Hälfte der Siegpunktgebäude vor allem für Händler interessant.
  • Krieg und Soldaten: Ich habe es ein paar mal probiert, schnell viele Soldaten nach Amerika zu schicken, um in den letzten Runden die Mehrheitsverhältnisse günstig beeinflussen zu können. Dies scheint aber nicht gut zu funktionieren. Ein kleiner Krieg gegen SpielEn.de kann zwar ein paar wichtige Siegpunkte bringen. Eine Strategie darauf aufzubauen lohnt aber nicht. Man kann die Kriegsbox zumeist getrost ignorieren und sollte Soldaten besser auf Entdeckungsfahrt schicken.

Bei all diesen Überlegungen sollte Age of Empires III nicht zu ernst genommen werden. Denn Kollege Zufall mischt gehörig mit: Die verfügbaren Gebäude, die zu vergebenden Handelswaren und die Größe der Eingeborenenstämme, alles ist zufällig. Aber der Zufall ist berechenbar und bis auf die Entdeckungen liegen zu Rundenbeginn alle Optionen offen. Eben das Glückselement der Entdeckungen gefiel einigen Runden nicht, und es kursieren deswegen diversere Hausregeln für ein vermeintlich ausgewogeneres Spiel. Auch wir haben einige der Regeln ausprobiert. Schlussendlich empfiehlt es sich aber, bei der Originalregel zu bleiben. Denn allen Variationen war gemein, dass sie gewisse Strategien bevorzugten und somit alle Spieler ähnlich agieren mussten um zu gewinnen. Der größte Spielspaß stellt sich aber immer dann ein, wenn verschiedene Ansätze erfolgreich konkurrieren. Mit jeder Reduktion des Entdeckerglücks geht auch ein Stück Thematik verloren, denn das Ergebnis von Entdeckungsfahrten war nun mal nicht vorhersehbar.

Beispielhaft werden die Grausamkeiten des Zeitalters der Entdeckungen in „Die Eroberung Mexikos“ von Hugh Thomas geschildert. Plastisch und eindringlicher als so mancher Hollywoodfilm oder so mancher Historienroman beschreibt diese Biographie von Cortez und Montezuma die gegensätzlichen Weltbilder der europäischen Entdeckungsreisenden und der mexikanischen Indianer. Beide Seiten waren auf ihre Art grausam, beide Gruppen waren Eroberer. Leser des momentan leider vergriffenen Buches können während des Spiels zartbesaitete Mitspieler mit hübschen Anekdoten ablenken. Zum Beispiel übernahmen die Azteken gerne die von den Europäern eingeführten Schweine. Denn sie schmecken ähnlich dem bis dahin in Kulthandlungen doch sehr häufig verzehrten Menschenfleisch. Oder: Viele der von den Spaniern zur Arbeit gezwungenen karibischen Ureinwohner starben aus, da sie Arbeit und Schufterei einfach nicht gewohnt waren.

Zurück zu Age of Empires III: Mit den Plastikfiguren konnte ich mich bis heute noch nicht anfreunden. Denn sie sehen alle gleich aus. Insbesondere Kapitäne und Soldaten, sowie Händler und Siedler sind nur schwer unterscheidbar. Kathrin markierte deswegen in stundenlanger Arbeit alle 400 Miniaturen, um das Spiel überhaupt spielbar zu machen.

Ob das Spiel mit seinem Computerspielvorbild verwandt ist, oder ob beide nur in Namen und Coverbild ähneln, weiß ich nicht. Das Brettspiel ist jedoch so gut, dass es trotz oder wegen seiner Verwandtschaft von allen Freunden etwas längerer und anspruchsvollerer Gesellschaftsspiele getestet werden sollte. Von seiner Aufmachung und dem hohem Preis sollte sich niemand abschrecken lassen.

2 von 3 Schiffen

Prädikat
: 2 von 3 Schiffen

3 Kommentare

  1. „Kathrin markierte deswegen in stundenlanger Arbeit alle 400 Miniaturen, um das Spiel überhaupt spielbar zu machen“

    Das stimmt natürlich nicht ganz. Denn die Siedler blieben unmarkiert. Nur die je fünf Händler und Kapitäne, sowie die je zehn Mönche und Soldaten pro Spieler erhielten ein bisschen weiße Farbe 🙂 Macht bei fünf Farben immer noch 150 Kleckse, aber das hat sich definitiv gelohnt.

  2. „…gegen SpielEn.de…“

    Witzig.

    -Michael

  3. Ach, ja. Wie Ihr wißt, es ist alles ein Cosim. 😉

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