Eselsbrücke

Spiele, bei denen man Geschichten erzählt, haben oft einen eher skurrilen Hintergrund. Vielleicht war dies die Ausrede, weshalb ich mich zunächst nicht um Eselsbrücke bemüht und dieses Spiel in Nürnberg zwar zur Kenntnis, nicht aber auf unsere Wunschliste für Rezensionen genommen habe.

Zwei kleine Rückblicke: Bei Ja, Herr und Meister (2006) werden den Spielern spontan Begriffe zugelost. Diese müssen sie nahtlos und einigermaßen überzeugend bei ihrer Entschuldigung an den großen Meister einbinden. Wer sich verhaspelt, erntet „böse Blicke“ und damit Minuspunkte. Ganz nett, mal was anderes, nächstes bitte.

Ein weiterer Exot unter den Spielen ist das noch ältere Die unfasslichen Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen (2002). Wie im Kneipengespräch brüsten sich die Spieler ihrer Heldentaten. Gegenseitig werfen sie sich Details, Begebenheiten oder Namen zu. Wer solche Herausforderungen annimmt, strickt die Geschichte mit Hilfe dieses neuen Fadens weiter. Dabei geht es nicht nur darum, die eigenen Stories flexibel weiterzuspinnen, sondern auch ein Rollenspiel am Tisch zu entfalten. Das liegt bei weitem nicht jedem und lebt davon, dass die Spieler sich von bekannten Geschichten lösen und stattdessen witzige neue Wendungen hineinbringen. Auch hier muss konstatiert werden: Exotisch ist nicht automatisch ein Hit.


Bild von Eselsbrücke

Was macht Eselsbrücke nun anders? Natürlich eine ganze Menge, denn sonst würde ich nicht so langatmig einleiten. Weiterhin geht es ums Erzählen von Geschichten. Die Aufgabe: Zwischen drei und fünf Plättchen mit Begriffen und einer kleinen begleitenden Grafik dazu werden zufällig gezogen, und der aktive Spieler legt los. Dabei darf er weit ausholen oder alles in einem Satz abhandeln. Beides ist nicht unbedingt zielführend. Denn es geht darum, sich später an die Begriffe zu erinnern. Und zwar an alle. Wer zu ausschweifend erklärt, überlagert die zentralen Schlüsselwörter und lässt mehr Bilder in den Köpfen der Spieler entstehen. Zu kurze Erzählungen geben keine „Eselsbrücke“ und damit nicht genug Anhaltspunkte, um sich an die Wörter zu erinnern.

Jeder Spieler erzählt zwei Geschichten, bevor die erste aufgelöst wird. Alle erhalten dazu ein zufälliges Plättchen und nennen reihum einen der anderen Begriffe. Wer sich gut erinnert, punktet – und der Erzähler profitiert, falls alle Begriffe korrekt genannt werden. Bei Fehlern oder Gedächtnislücken hagelt es allerdings Minuspunkte. Von nun an wechselt es ab: Eine Geschichte erzählen, eine auflösen. Nachdem jeder seine fünfte Geschichte mit fünf Begriffen erzählt hat, bestehen die letzten beiden Runden nur noch aus der Auflösung der verbleibenden Geschichten.

Zu viert werden somit insgesamt zwanzig Geschichten erzählt. Kann sich das überhaupt jemand merken?! Die womöglich überraschende Antwort lautet: Ja! Je besser es den Erzählern gelingt, ihre Geschichte auf den Punkt zu bringen, desto prägnanter erinnern sich alle an die Hauptfiguren, -gegenstände, -jahreszeiten, oder was immer sonst auf den Plättchen zu finden ist. Und wer noch Hirnkapazität übrig hat, denkt sich vorsichtshalber selbst noch schnell ein Bild oder eine Geschichte aus, mit der das Merken leichter erscheint.

Zentraler Erfolgsfaktor bei Eselsbrücke sind die Zeichnungen. Jede Grafik erzählt bereits eine Geschichte. Selbst wer sich sonst schwer tut, erhält damit ideale Unterstützung beim Erzählen. Einziger Stolperstein: Wer sich etwa wegen der Geschichte den abgebildeten Koch auf dem Plättchen merkt, das eigentlich als Begriff „Pfannkuchen“ enthält, könnte bei der Auflösung daneben greifen.

Spieltechnisch sind zwei weitere Aspekte zu erwähnen. Je weiter das Spiel voranschreitet, desto mehr Minuspunkte sind beim falschen Raten zu löhnen – bei mehr Begriffen pro Geschichte, was das Ganze ohnehin schon nicht leichter macht. Das kann bitter werden und erhöht den Druck. Und dann wäre da noch die Sitzreihenfolge. Wer direkt hinter einem schlechten Merker sitzt, der öfters Minuspunkte abdrücken muss, kommt häufiger zum „Übernehmen“ an die Reihe und darf so mehr Begriffe raten und damit punkten. Konsequenz: Wir hatten Partien, in denen zwei Spieler alles errieten – dennoch gewann einer der Spieler mit zwei Punkten Vorsprung.

Natürlich kann man das Ganze powergamermäßig angehen. Wer alle Begriffe einer Geschichte im Kopf hat, könnte sich genau überlegen, welchen er nennt. Was hilft den Mitspielern am wenigsten? Wie bleibt der schwierigste Begriff übrig und reißt vielleicht einen Mitspieler rein? Solange solche Überlegungen nicht ins Grübeln abgleiten, mag’s okay sein. Doch im Mittelpunkt sollte eindeutig der Spaß stehen. Dass es hiermit im Fazit heißt „ein Spiel für Leute, die …“ leitet meist eine sehr spezielle Zielgruppenwertung ein. So nach dem Motto „jedes Töpfchen find’t sein Deckelchen“. Oder halt „jedes Spiel wird irgendwo auf dieser Welt vielleicht gern gespielt“. Davon kann bei Eselsbrücke beileibe nicht die Rede sein. In meinen Runden war es jedes Mal der Hit. Allmählich kenne ich die Bildkarten so gut, dass der „Verspielte Kater“ oder der „Schlaue Fuchs“ auch außerhalb der Partien zitiert werden. Vom Nachlassen des Spielreizes ist nichts zu spüren.
Eine kleine Einschränkung bleibt doch: Allen Vorteilen dieses Spieles zum Trotz kann es vereinzelt Personen geben, die mit Eselsbrücke nicht klarkommen, sich zu sehr über die Wertung ärgern, keine prägnanten Geschichten hinbekommen oder einfach zu frustriert sind, wenn ihnen bei einem Fehler viele Punkte abgezogen werden. Halten Sie es einfach wie ich: Suchen Sie sich nette Mitspieler, die Eselsbrücke dabei haben und testen Sie es. Meine Prognose lautet: Wenn Sie sich nach Lektüre dieses Textes für ein Mitspielen entschieden haben, werden Sie danach ins Geschäft laufen und Eselsbrücke kaufen.

Bild von 2 von 3 Brücken
Prädikat
: 2 von 3 Brücken

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