Let‘s Go! To Japan

Nach einer etwas längeren Sommerpause ist es an der Zeit, mal wieder über Spiele zu berichten. Die beste Art, um wieder in einen Schreibfluss zu kommen, ist bekanntlich drauflos zu tippen. Deshalb sei mir verziehen, wenn der folgende Text länger als notwendig wird und etwas umhermäandert.

Da wir vor einigen Jahren auch vom Japanfieber angesteckt wurden, gab es beim Kickstarter von Let’s Go! To Japan kein Halten mehr. Natürlich wurde direkt die Luxusversion geordert. Hat es sich gelohnt? Ja, sicher! Denn das Spiel fängt den stereotypischen Flair eines Urlaubs in Japan perfekt ein. Es geht damit los, dass das Spiel in ein Tuch („Furoshiki“) eingeschlagen geliefert wird. Dann gibt es die schicken Schälchen für Spielmaterialien, kleine Extrapostkarten ohne spielerischen Nutzen, Klebesticker, Winkekatzen und vielerlei anderen Schnickschnack. 

Beim Spiel geht es darum, eine Reise in Japan zu planen. Wir wollen in sechs Tagen sowohl Tokio als auch Kyoto besichtigen. Was wäre ein typisches Herangehen: Montag bis Mittwoch Kyoto, dann Donnerstag bis Samstag Tokio. Essen, Tempel, Gärten gibt es in beiden Städte in größeren Mengen – zum Shoppen könnte Tokio noch mehr bieten.

Let’s go! To Japan folgt aber einer anderen Logik. Erst legen wir fest, wann wir etwas erleben wollen: Montags shoppen, Dienstags Essen etc. Wo das stattfindet, ist egal. Beim Planen geht es sehr strukturiert zu. Aus gedrafteten Karten suchen wir uns eine oder zwei aus und ordnen sie einem Tag zu. Da jede Karte einer Aktivität in einer Stadt entspricht, ergibt sich so ein munteres hin-und-her fahren mit dem Shinkansen. Haben Sie schon mal einen Urlaub so geplant, in dem Sie zufällig Aktivitäten ziehen, diese themenbezogen Tagen zu ordnen, um dann schließlich Zugtickets zum Pendeln zu kaufen? Ja? Dann glauben Sie wahrscheinlich auch, dass in Flugzeugen der Pilot das linke und der Co-Pilot das rechte Seitenruder bedient und die beiden sich dabei auf keinen Fall unterhalten dürfen.

Solch kleine Realitätsfehler machen aber nichts aus, denn wie bei Sky Team entsteht bei Let’s Go! To Japan eine dichte Atmosphäre. Beim Spiel fällt es leicht, sich in eine Japanreise hineinzuversetzen, vielleicht gerade weil das Spiel gar keine realistische Simulation sein will, sondern allein ein Flair vermitteln möchte.

Ein klein wenig ist dies wie in der barocken Oper. Diese bestanden ursprünglich aus Arien und Rezitativen. Rezitativ wurde die Handlung vorangebracht („Jetzt ziehe ich los aus meinem Schloss, um den Schurken aufzuspüren. Da ist er – ha, nun erdolche ich dich, du Bösewicht – nimm dies und blute!“ – 2 Monate Handlung in zwei Dutzend Wörtern verpackt). Arien sollten eine Emotion vermitteln („Ich sterbe, ich sterbe, das ist sehr schade, und nun sterbe ich noch weiter, bis ich beinahe tot bin, mich noch einmal auflehne und gräme um zu sterben, steeerben … – Informationsdichte von etwa einem Bit in etwa 10 Minuten breitgesungen). Letztere können länger dauern. Wegen deren großen Erfolges wurden Rezitative immer knapper, um mehr Platz für Arien zu schaffen. Es dauerte einige hundert Jahre, bis wieder mehr Wert auf die Storyline gelegt wurde. Aber auch Wagner vermittelt vor allem große Gefühle. Ich vermute, kaum jemand geht in die Oper, um die Logik der Handlung tiefer zu ergründen, und doch können sich Opernfans sehr präzise in die besungene Lebenswelt hineinversetzen.

Zurück zum Spielen. Seit einigen Jahren versuchen Spiele nicht nur ein Titel ohne Thema (siehe Goa oder Tadsch Mahal) zu sein, sondern wirklich auch eine Geschichte zu erzählen. Dabei kommen sie selten über die Plotdichte typischer Star Wars Serien hinaus. (Wir ziehen hinaus in die finsteren Lande und erschlagen den Drachen. Aber halt – Überraschung – er hat einen Pakt mit dem finsteren Hexenmeister geschlossen …)  Ist dies von Bedeutung? Nö! Denn es kommt darauf an, wie ein Spiel – genauso wie die Oper – unsere Vorstellungskraft aktiviert und wir uns mit einem Mal wie kräftige Kriegerinnen fühlen, die in den Sonnenuntergang hinein reiten. Das kann durch eine seichte Story, eine passende Ausstattung oder einen knackigen Titel geschehen. Selten hilft die Spielmechanik, diese sollte zumindest nicht behindern, sondern von den Logik- und Handlungsschwächen ablenken. Merke: Wer am Grübeln und maximieren von Siegpunkten ist, hat keine Zeit über schlechte Textfragmente auf Ereigniskarten zu frotzeln. („Graf Roland ernennt Merhins skrupellosen Bruder Ralph zum Herrn von Wigleigh!“ – das habe ich mir nicht ausgedacht. Den Text gibt es!)

Spielen mit interessanten Mechanismen werden Handlungsschwächen also eher verziehen – und umgekehrt. Bei Let’s Go! To Japan interessiert es damit nicht die Sojabohne, ob jemals irgendwer seine Reise so absurd planen würde. Was interessiert sind all die schönen Ideen, was sich in Japan so erleben lässt und wie herrlich exotisch dies auf uns provinzielle Westler wirkt. Die Planungsregeln sind nur Beiwerk zur Beschäftigung mit den Karten. Wenn an allen sechs Tagen je drei Karten liegen, endet das Spiel mit einer großen Auswertung, bei der es allerlei Punktverschränkungen gibt. Wer dabei gewinnt, ist reichlich egal. Interessant wird das Auswertungsspektakel, wenn wirklich Japanreisende mit am Tisch sitzen und zur geplanten Woche kleine Geschichten erzählen können. Dann entführt das Spiel gleich ein zweites Mal ins Schwelgen über den letzten oder den nächsten Urlaub.

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