Wir sind das Volk

Vorweg: Dieser Text beruht auf einem Ersteindruck und stellt damit keine Rezension dar.

Wir sind von [cref twilight-struggle] begeistert. Kein Wunder, dass uns auch „Wir sind das Volk“ ansprach. Im Nachgang zur Messe haben wir es uns gekauft, und jetzt kam es endlich auf den Tisch. Die Kurzfassung des Ersteindrucks: Das Spiel hat uns genügend fasziniert, dass wir eine zweite Partie wagen wollen – wir fiebern ihr aber nicht entgegen und wissen daher nicht, wann wir dazu kommen werden.

Hier die längere Fassung: Ähnlich wie bei Twilight Struggle lebt Wir sind das Volk von der asymmetrischen Ausgangslage. Einer spielt die DDR, der andere die BRD. Durch das Versinken in Unruhe können beide verlieren, durch das Einsetzen von genügend vielen Sozialisten die DDR gewinnen, ebenso wenn sie alle vier durchgespielten Dekaden übersteht. Eine weitere Ähnlichkeit zu Twilight Struggle besteht im kartengetriebenen Mechanismus, durch den die historischen Ereignisse im Spiel nachverfolgt werden.

Die Anfänge beider Staaten, sowie deren wirtschaftliche Entwicklung wird im Spiel spürbar nachvollzogen. Diese Erwartung erfüllt Wir sind das Volk auf jeden Fall. Ereignisse auf Karten sind „eigentlich“ ja nur im Spielmechanismus verankerte Aktionen, die ausgeführt werden. Doch durch den historischen Bezug entsteht im Kopf ein Bild, das sich aus dem historischen Kontext ergibt. Und durch den Verlauf des Spiels kann die Geschichte auch mal einen anderen Ausgang nehmen… So kann die DDR entscheiden, die Mauer zu bauen – oder auf selbiges zu verzichten, indem sie weiter Republikflucht in Kauf nimmt. Dass im Laufe des Spiels die Wirtschaft der DDR in einen immer maroderen Zustand abgleitet, lässt sich ebenfalls gut nacherleben. Genau dies macht den Reiz dieses Genres aus, und genau dies bedient Wir sind das Volk.

Doch das Spiel konnte uns nicht begeistern. Woran lag es? Zum einen galt es doch ziemlich viele Kleinigkeiten in der Regel nachzuschlagen. Das wird mit wachsender Spielerfahrung sicher besser, stellt also im Sinne einer Rezension nicht zwingend einen Hinderungsgrund dar. Und dass es sich hier um einen Ersteindruck und eben keine Rezi handelt, steht ja oben drüber. Was uns jedoch weiterhin irritierte, waren die vielen Verzahnungen. Auch gegen ein fein eingestelltes Räderwerk an Ideen ist nichts einzuwenden. Leider nahm bei uns die Verwirrung der strategischen Möglichkeiten einen gefühlt zu hohen Stellenwert ein – und das führte zudem dazu, dass wir in den Wertungen am Dekadenende zu große Überraschungen erlebten. Ganze zehn Phasen sind hier abzuhandeln, darunter die Finanzierung des Lebensstandards in der DDR, sowie der „Schlagabtausch“ durch Vergleich des Lebensstandards zwischen Grenzregionen der BRD und DDR. Für die erste Partie war für uns einfach zu viel im Blick zu behalten.

Bei Twilight Struggle sind wir mit den Herausforderungen, einen strategischen Plan zu entwickeln und dem Überblick, wo überall Ungemach droht, viel besser klar gekommen. Wir haben darüber nachgedacht, woran das liegen mag. Vielleicht einerseits, weil die Siegbedingungen unmittelbarer zu greifen sind: DEFCON, Siegpunkte am Anschlag, Europa beherrschen. Alles ist auf dem Plan ersichtlich. Dass es im „Late War“ gar eine Karte gibt, durch die ein vorzeitiges Spielende ausgelöst wird, mag bei deren erstem Auftauchen – oder spätestens bei ihrem ersten erfolgreichen Ausführen – überraschen, später vermag man daran zu denken. Durch die Wertungen sind klare Ideen vorgegeben. Anhand der Kartenübersicht informiert man sich darüber, welche Wertungskarten noch kommen und vermag entsprechend zu planen. Bezieht der Gegner in einer bestimmten Region bereits Stellung? Womöglich bereitet er eine Wertung vor, die er bereits auf der Hand hält…

Genau solche Motive fehlen mir bei Wir sind das Volk ein wenig (oder wir haben sie in der ersten Partie, die – wie bereits subtil erwähnt – die bisher einzige war, à la „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ einfach nicht erkannt). Zudem sind für mich vielleicht militärische Einheiten unmittelbarer begreiflich als der abstrakte „Lebensstandard“ bei Wir sind das Volk. Letzterer muss mit alternativem Karteneinsatz aufgebaut werden, aber nur drei von ihnen und zudem in unterschiedlichen Regionen. Anders als beim Einsetzen von Wirtschaftspunkten darf er aber auch in Unruhe-Regionen gesetzt werden, soweit jedenfalls haben wir die Spielregel interpretiert. Bei der Dekadenwertung muss zudem der Lebensstandard mit den Exportfirmen (die höchste Firma einer Regionen) abgesichert werden. Auch das bringt meine Intuition an die Grenze.

Wir sind das Volk macht vieles richtig und bringt spielerisch ein sehr spannendes Kapitel der deutschen Geschichte rüber, das ich zudem zumindest um die Wiedervereinigung herum selbst miterlebt habe. Das weckt Emotionen und Erinnerungen. Spielerisch setzt mir Wir sind das Volk Grenzen, bei denen ich wohl erst wieder etwas Motivation sammeln muss, bevor ich diese Barrikaden erklimme.

3 Kommentare

  1. Danke, Kathrin, für diesen Ersteindruck. Hmmm … eigentlich mag ich Spiele, bei denen mir beim ersten Mal der Kopf schwimmt, weil ich die vielen Verzahnungen noch nicht erkenne. Ich mag aber keine Spiele, die so viele Regeln haben, dass ich ständig nachschlagen muss. Und was die Orientierung bei den Siegbedingungen angeht, das kann ich nachvollziehen, das Problem habe ich nämlich schon, wenn ich das eigentlich simple König von Siam mal wieder anpacke. Hmm …

  2. Erstmal. Twilight Struggle ist für mich die unangefochtene Nummer 1 unter den Spielen. Hier trifft eleganz auf, Spannung und Historie. Da passt alles.

    Elegant ist auch Wir sind das Volk (WsdV) Im Prinzip gibt es 4 Sonderregeln für West Berlin, Hamburg, Reinsberg und die Externe Fabriken. Doch ich denke das größte Problem das von euch angesprochene Dekatenende. Da wird so viel verglichen und verändert das kann man sich nicht alles vorstellen. Und hier liegt der Unterschied. Bei Twilight Struggle wird wirklich alles direkt an Ort und Stelle entschieden. Das heißt ich muss mir nicht vorstellen, wenn ich jetzt die Karte spiele und X machen was passiert in 3 Runden bei Y.

    Dazu kommt ich weis einfach nicht, was mein Gegner tun kann. Und somit entscheide ich meine Entscheidung aus dem eigenen Vorhaben abhängig von einer Vermutung was mein Gegenspieler wohl vorhat.

    Bei WsdV habe ich viel mehr Einfluss darauf was mein Gegner tun kann. Noch dazu sind viele verschiedene kleine Historischen Aspekte verankert im Spiel.

    Mein Fazit ist, Twilight Struggle ist einfach ein Tick eleganter. Spielerisch halte ich aber beide auf ähnlichem Niveau. Wenn auch die Spannung bei Twilight Struggle um ein vielfaches höher ist, aufgrund der Ungewissheit. Dafür ist WsdV stärker steuerbar.

    Es kommt also darauf an, was einem selber besser liegt. Aber beides sind enorm starke Titel. Und WsdV hat eigentlich auch echt wenig Regeln. Diese müssen aber einfach erstmal wirken. Gerade weil eben der Lebensstandart eine enorm wichtige Rolle spielt.

  3. Hierzu muss ich mich auf jeden Fall auch äußern, auch wenn ich WsdV LEIDER (!) jetzt schon länger nicht spielte ( 1. zu viel anderes und 2. halt am Ende doch an/um die 4h lang, die sich m.E. auch nach mehreren Partien stets wieder lohnten, die man aber auch erstmal haben muss).
    Schon als ich im Blog vom Irongamer
    http://www.irongames.de
    allererstes Prototypisches hierzu las, packte mich sofort das Thema, eben weil das einmalig in/für/auf DE sowie mal durch und durch und nicht bloß oberflächlich pseudo thematisch-historisch ist (stets ein Segen für Themenspieler). Weiteres dann in der Spielbar verfolgt und es dann auch – als einzigen Titel zur letztjährigen SPIEL – vorbestellt. Das als Gradmesser für die Vorfreude:)

    JA, die Regeln wollten ausführlicher studiert sein und es musste mehrfach nachgeschaut werden, bis man es spielpraktisch auch verstand. Aber nichts für ungut: Das ist eine historische Simulation, ein kriegsloses CoSim – kein glattgebügeltes Kennerspiel. Ausreichend hohes Vielspielerniveau…
    Jetzt habe ich Gleichgewicht des Schreckens (:-P^^) noch nicht gespielt, bisher nur Allerbestes dazu gehört, die Regeln gelesen, weshalb ich spielpraktisch nicht vergleichen kann und auch bzgl. Regeln nicht vergleichen möchte.
    Was ich aber v.a. an WsdV großartig finde, sind gerade die 10schrittigen Wertungen. Nicht, weil ich die in Spiel1 schon verstanden oder da bereits gezielt auf irgendetwas hin gespielt hätte (Aspekt1 versucht, Aspekt4 völlig missachtet, von Aspekt7 überrascht gewesen, mich über Aspekt10 gefreut, weil die DDR irgendwie doch noch stand). Ich finde, was da in welcher Reihenfolge gewertet wird, einfach unfassbar anschaulich und historisch derart nachvollziehbar, wie ich es noch nie anderswo fand. Anderswo werden heutzutage für X und Y und das übrige Alphabeth durch Siegpunkte vergeben, nicht weil es sinnvoll ist oder thematisch stimmig, sondern weil es irgendwie sein muss, dass jeder irgendwie irgendwas abkriegt und nicht egal wie schlecht gespielt zu sehr zurückliegt. Hier gibt es keinerlei Siegpunkte und – wie gesagt – hat das alles durch und durch Hand und Fuß, was da gewertet wird. Warum und wozu man als DDR alles Sozialisten braucht (und wie wichtig es für die BRD ist, sie in den Westen zu lozen), ob es zu Republikflucht kommt und wenn ja wie viel, wie steht es um Devisen und dann erst recht die Vergleiche innerstaatlichen und bilateralen Wohlstands. Ja, dafür muss man ein Auge ERSPIELEN, das feine Geflecht an Zusammenhängen wenigstens erahnen, um sich der Geschichte stellen zu können. Vieles ist ja auch abzusehen: Wie viele Staatsgewalt-Karten liegen offen aus, darauf muss sich die DDR einstellen, da alle gespielt werden, fraglich nur, was der Gegner verdeckt auf der Hand hat…
    In Partie1 erblühte die BRD bspw. unfassbar, ABER nur in NRW und noch in Niedersachsen, Bayern fiel derart ab, dass dort so übel das Volk wütete, dass allen Ernstes KEINE MACHT FÜR NIEMANDEN die BRD in die Knie zwang, schlicht weil der Aspekt innerstaatlichen Gleichgewichts null bedacht wurde, so sehr es dort wirtschaftlich auch prosperierte und hierüber die DDR in Bedrängnis kam.
    Auch dass und wie man Westberlin nur übers „Hinterland“ (das für grenzstaatliche Vergleiche nicht heranzuziehen ist) voranbringen kann, finde ich außergewöhnlich spannend und extrem knifflig zu organisieren.
    Überhaupt die Asymmetrie in den Ansprüchen (Spielweise, Wichtiges während des Spiels und im Hinblick aufs Siegen) finde ich extrem gekonnt umgesetzt und m.E. eher noch befördert durch die offene Auslage an Ereignissen, weil so viel mehr mitgefiebert und einander belauert wird, wer was gebrauchen oder wie zweckentfremden könnte. Spielt die DDR die gelbe BRD-Karte nur, um der BRD viel Wirtschaftswachstum zu vermiesen, ohne jedoch selber allzu viel damit anfangen zu können? Obendrein auf die Gefahr hin,d ass die BRD danns elbiges mit der besten DDR-Karte macht? (und andersrum natürlich) Auch die Ereignisse mit manchmal einem eindeutigen Für, zu oft aber auch einem Wider (das an Plus für mich, aber auch für den Gegner ODER doch noch ein Minus anderswo für mich) machen das Abwägen allerhöchst spannend.

    Kurzum: Ich hoffe, ihr seid schon oder werdet unbedingt nochmal dazu kommen, es zu erspielen und dann möglichst erneut, einfach damit die Eindrücke und Erkenntnisse noch frisch sind und vertieft werden können!

    Gruß Dominic

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