Seit 2017 haben wir nicht mehr über unsere Erlebnisse in Altleiningen berichtet. Dabei waren wir mit Ausnahme der Coronajahre mit einer Ausnahme immer vor Ort. Die Ausnahme war 2023, da studierten wir die Maya in Mexiko.
Dieses Jahr war aber wieder alles wie immer, mit einer Ausnahme. Jochen gab bekannt, dass er nach 20 Jahren genug von der Rolle des Ausrichters hat und übergab die Verantwortung für die Organisation des Treffens feierlich an seine Nachfolger. Damit wird auch in Zukunft alles beim Alten bleiben.
Der Fokus in diesem Jahr lag dabei auf Erstpartien von langen bis sehr langen Spielen.
Am Freitag starteten wir mit Men-Nefer. Wir kaufen Spiele mittlerweile nur noch nach streng wissenschaftlich belegten Regeln. Bewiesenermaßen erfolgreich ist zum Beispiel das Bauchverfahren: Wenn der Bauch „Kauf es“ ruft, kann das Spiel gar keine Gurke sein.
So kam Men-Nefer auf der Spielemesse in Essen kurz vor Toresschluss in unseren Besitz. Das Material sah einfach zu knuffig aus und Ägypten als Thema gab den Ausschlag für einen Blindkauf. Jetzt war es soweit, die Erstpartie von Men-Nefer konnte beginnen.
Es geht um den Bau der großen Pyramiden während des alten Reiches. Spielplan und Material wirken erstmal überwältigend, aber die Spielregel schafft es schnell, die grundlegenden Prinzipien zu vermitteln. Das Spiel geht über drei Runden mit je neun Aktionen, die in drei mal drei Aktionsarten unterteilt sind: Auszubildende ausschicken, Auszubildende spezialisieren und neues Lehrmaterial besorgen. Jede der Aktionen löst weitere Effekte aus. Tote werden bestattet, Pyramiden gebaut, Flüsse befahren, Opfer Göttern gebracht und Sphinxen errichtet. Dies ist alles nicht nur schön anzusehen, sondern spielt sich auch angenehm belohnend und intuitiv. Men-Nefer ist dabei kein einfaches Spiel. Obwohl ich die Regel im Vorfeld detailliert durchgearbeitet hatte, brauchten wir 30 Minuten für den Aufbau und 45 Minuten für die Regelerläuterungen. Danach war es aber möglich, das Spiel zu dritt in kurzweiligen drei Stunden zu erleben.
Wir freuen uns auf weitere Partien, denn wir hatten den Eindruck, die vielfältigen Optionen des Spiels noch nicht mal annähernd entdeckt zu haben. Dabei kommt Men-Nefer ohne Tricks wie modulare Spielpläne oder Szenarien aus. Es sind die vielfältigen Optionen und das natürlich wirkende Ineinandergreifen der Mechaniken, die Komplexität ohne verwirrende Kompliziertheit aufkommen lassen. Durch die Reduktion auf drei Aktionsmöglichkeiten ist der Einstieg erfreulich einfach. Auch muss nicht jede Aktion aber der ersten Minute perfekt durchgerechnet sein, einfach losspielen ist stattdessen erlaubt.
Am Samstag kam dann erstmals Inventors of the Sout Tigris auf den Tisch und blieb dort auch für viele Stunden. Ich hatte versucht, auch dieses Spiel vorzubereiten, was der Autor der Anleitung aber zu verhindern wusste. Die Regel enthält keine Abbildungen und Erklärungen des Materials. Dafür beginnt sie mit wirren Prinziperklärungen, wie sich Handwerker und Würfel bewegen sowie Detailauswirkungen von Schiffsbewegungen auf Werkstätten und Forschungen. Verwirrt? Ja, das waren wir auch!
Im Spiel geht es ganz logisch darum, mit Kamelen Erfindungen zu entwickeln, zu bauen, zu testen und zu veröffentlichen. Nach etwa zwei Stunden Regelraten zu viert waren wir schließlich so weit, das Spiel zu starten – und begnügten uns zunächst damit, überhaupt regelgerechte Züge durchführen zu können. Nach einer halben ersten Runde – von dreien – ging es zum Mittagessen.
Danach beginnt sich das Spiel tatsächlich zu entwickeln und drei Stunden später dämmert uns, was wir in den ersten Zügen hätten anders machen können und wie das mit den Siegpunkten funktioniert. Eine weitere Stunde vergeht und erschöpft erreichen wir das Ende der dritten Runde. Es hat uns aber irgendwie schon gefallen.
Inventors of the South Tigris ist der dritte Teil der dritten Trilogie von Shem Philipps. Waren seine Nordseespiele noch Lehrstücke und seine Ausflüge ins West-Kingdom kleine Meisterwerke, so sind die Südlandspiele etwas überladen. Inventors of the South Tigris setzt nochmal eins darauf. Das Spiel muss man spielen wollen! Lohnt sich die Qual, das Spiel zu erarbeiten? Ich weiß es nicht. Jetzt, da wir es geschafft haben, werde ich mit Kathrin weitere Partien zu zweit angehen, bevor wir die Regeln wieder verdrängt haben. Denn ähnlich wie bei Men-Nefer haben wir den Eindruck, dass es noch viel zu entdecken gibt und das Spiel einige neuartige Elemente enthält, die den Wiederspielreiz hochhalten. Allerdings befürchte ich, dass, sobald wir die Regeln nicht mehr brühwarm im Kopf haben, das Spiel nie wieder anfassen werden. Und erklären wollen wir es sicherlich auch niemandem mehr.
Da wir die Serie aber soweit komplett im Regal stehen haben, werden wir auch die folgende Trilogie über das östliche Empire sicherlich bei Kickstarter verfolgen.
Nach weiteren Regelhämmern war uns nun nicht mehr zumute. Bis zum Abendessen vertrieben wir uns deshalb mit einer schnellen Partie Courtisans (Hof-Verrat), einer chaotischen King Lui Variation. Alle bekommen drei Karten aus sechs verschiedenen Fraktionen auf die Hand, die sie in ihrem Zug auch alle spielen. Eine zu sich selbst, eine in die Mitte zur Königin und eine zu einem lieben Mitspieler oder zu einer lieben Mitspielerin. Die Karten in der Mitte können oberhalb oder unterhalb der Königin liegen. Liegt die Mehrheit einer Fraktion oberhalb der Königin, bringt sie Pluspunkte. Sonst zählt sie Minus. Viele der Karten haben noch typische Spezialfähigkeiten (Verdoppeln, Eliminieren, verdeckt legen, Schützen). Sonderziele bringen noch etwas Chaos ins eh unkontrollierbare Spiel. Das ist alles nicht neu oder originell, aber es ist etwa so schnell gespielt wie erklärt und auch schön anzusehen. Gute Absacker gab es in letzter Zeit wenige, oder zumindest habe ich, mit Ausnahme von Passt Nicht! kaum welche kennengelernt. Deshalb darf Courtisans auch erstmal im Spieleregal bleiben.
Den Samstagabend gestalteten wir dann etwas lockerer mit einer Wiederholungspartie Endeavor: die Tiefsee (Szenario 2). Dies war nun meine dritte Partie dieser Variante von Magister Navis. Ich bin immer noch unentschlossen, ob mir das Spiel gefällt. Schlecht ist es sicherlich nicht, sonst wäre es nicht zur dritten Partie gekommen und Magister Navis hatte bei uns auch erst spät gezündet. Das Thema ist die Entdeckung der Meerestiefen. Dazu fahren wir in U-Booten über einen variablen Spielplan und setzen Aktionspunkte ein. Welche Aktionen zur Verfügung stehen, regelt ein trickreiches wie simples Verfahren. Für jede Aktion benötige ich ein oder zwei Einsetzfelder. Eines bei einem meiner Mitarbeiter und eines auf dem Spielplan bei meinem U-Boot. Einmal besetzt, werden die Felder aber nicht mehr von allein frei. Nur einige Punkte von meinen Mitarbeitern darf ich jede Runde wieder räumen. Auch habe ich nur einen begrenzten Nachschub an Aktionspunkten. Die Mengen regeln Fähigkeitsleisten, die ich als Belohnung für Aktionen ausbauen kann. Jede Runde bekomme ich einen neuen Mitarbeiter und nach sechs Durchgängen wird abgerechnet.
Etwas fühlt sich Endeavor wie ein leicht angestaubtes Spiel aus einem vergangenen Jahrzehnt an. Der Ablauf ist trotz des variablen Spielplans recht statisch und wer nicht direkt in der ersten oder spätestens zweiten Runde seinen Motor ins Laufen bekommt, hat schlechte Chancen das Spiel zu gewinnen – ein guter alternativer Name fürs Spiel könnte auch „Wer hat, dem wird gegeben“ oder auch „Aktionspunkteschleudern“ lauten. Entsprechend langweilen sich frustriert die abgehängten Spieler in der zweiten Spielhälfte, während sie den anderen frohlockend beim Aktionspunktschleudern zusehen. Ich habe schon beide Seiten eingenommen, was vielleicht der Grund zum ambivalenten Eindruck ist. Um in den Aktionspunktschleudermodus zu kommen, bedarf es aber auch etwas Risikobereitschaft. Wir werden es uns höchstwahrscheinlich nicht kaufen, gegen weitere Partien wäre aber nichts einzuwenden.
Schließlich blieb noch Zeit für Australis, eine lockere Familienspielneuheit von Kosmos. Wieder befinden wir uns unter Wasser. Diesmal nehmen wir uns Würfel aus einer gemeinsamen Auslage, um in diversen Kategorien Punkte zu sammeln. Die Würfel haben noch eine zweite Funktion in einem großen Würfelduell am Ende jeder der sieben Runden.
Wir gehören sicherlich nicht in die Zielgruppe von Australis, weshalb es wohl irrelevant ist, dass wir es als banal abhaken. Das Spiel ist aber durchaus wohldurchdacht und könnte eine Zielgruppe finden. Ich wünsche ihm dabei das Beste, auch wenn sich unsere Wege hoffentlich nie wieder kreuzen.
Auch den Sonntagvormittag gingen wir gemütlich mit einer Vertiefungspartie Galileo Galilei an, ein Spiel, das uns aus vielerlei Gründen ansprach und uns zu einem weiteren Blindkauf veranlasste. Ich denke, wir bringen bald einen längeren Artikel über das Spiel, deshalb hier nur ein paar kurze Worte: Rondell, knackig, Astronomie, Inquisitorenmanagement (ok – das ist ein etwas längeres Wort).
Galileo Galilei sieht aufwendiger und länger aus, als es ist. Es spielt sich unerwartet schnell und hat dabei einiges zu bieten. Insbesondere die Bedrohung der Inquisition, die aber auch Chance für unermessliche Siegpunkte darstellt, ist ein interessantes Element. Galileo Galilei war ein würdiger Ausklang des intensiven Spielwochenendes.
Next Station? – Landshut!