Die Sparte der Literaturverspielungen dient eigentlich dem Ziel, auf der Welle von Bestsellern mitzuschwimmen. Ein breites Publikum wird angesprochen: Alle Leser des Buches! Bei den Auflagenzahlen erfolgreicher Büchern im sechs- bis sogar siebenstelligen Bereich ein beachtliches Publikum! Als netter Nebeneffekt dringt so das Spiel in den Vertriebskanal der Buchhandlungen ein.
Für mich sind Literaturverspielungen oft auch Informationsquelle über Beststeller. Während wir bei Spielen viel zu neugierig sind, um die Lektüre von Messevorschauen und allerlei Ankündigungen nicht zu lesen, strafen wir die Bücher-Hits und einschlägige Listen meist mit Nichtbeachtung. Was auch daran liegen mag, dass wir nicht nur Romane und Erzählungen lesen, sondern gerne auch mal ein Sachbuch oder einen Reisebericht. Und da gehen wir mehr themenorientiert und weniger anhand aktueller Veröffentlichungen vor.
Und so traf ich erst beim Schreiben eines Fairplay-Messeberichts auf die Tintenwelt von Cornelia Funke. In dem Fall galt also: Spielen bildet. Erschienen war mit Tintenherz die Neuauflage des kooperativen Spiels Licht und Schatten.
Im Spiel Tintenblut zum zweiten Buch der Funke-Trilogie werden die Spieler nun in die Tintenwelt versetzt. Was, wie ich bei der Recherche rund um das Tintengeschehen gelernt habe, die fiktive Welt im Roman ist. Romanfiguren können aus Büchern herein- und hin- und hergelesen werden. Mehr Kenntnisse über die Tintenwelt werden nicht benötigt, um das Spiel spielen zu können.
Neun Orte mit drei verschiedenen, farblich gekennzeichneten Typen sind über den Spielplan verteilt. Jeder Spieler besitzt einen (fast) identischen Kartensatz dieser neun Ortskarten plus einer Jokerkarte, die für jeden beliebigen Ort eingesetzt werden kann. „Fast“ identisch sind diese Sätze, da jede Karte eine eindeutige Nummer enthält. In jeder Runde spielen alle Spieler reihum eine Ortskarte aus, bewegen ihre Figur dorthin, bezahlen weitere Wegstrecken zusätzlich mit Proviant, nehmen sich die Belohnung am Zielort und dürfen schließlich eingesammelte Belohnungen in Siegpunkte tauschen. Wer die Ortskarte mit der höchsten Zahl ausgespielt hat, muss mit negativen Auswirkungen rechnen.
So weit, so geläufig – so erscheint es zunächst. Doch einige Ideen geben dem Ganzen einen eigenen Touch. Beim Einsammeln der Belohnungen etwa kommt es darauf an, ob man sich alleine oder mindestens zu zweit vor Ort befindet. Zum Glück ist man nicht ausschließlich den Bewegungen der Mitspieler ausgeliefert – eine neutrale Figur kann unter Bezahlung von Proviant hergeholt werden, um die Bedingung „mehr als eine Figur“ zu erfüllen und die entsprechende Belohnung zu erhalten. Es winken Plättchen in einer von vier verschiedenen Sorten, Proviant oder Vorteilskarten für zusätzliche Siegpunkte oder Sonderfunktionen.
Die Plättchen können am Ende jedes Zuges in Siegpunkte getauscht werden. Während zwei verschiedene Plättchen gerade einmal zwei Siegpunkte bringen, ist ein komplettes Set aller vier verschiedenen Sorten bereits sieben Punkte wert. Nur je ein Zweier-, Dreier- und Viererset darf pro Runde eingetauscht werden – allerdings wird diese Beschränkung leider trotz guter Spielhilfe-Karten immer wieder vergessen. Doch diese Obergrenze wirkt sich meist gar nicht so stark aus, denn eine weitere Bedingung sorgt für wohlportionierten Siegpunkterwerb: Auf der Punkteleiste dürfen bestimmte Barrieren nur erreicht oder überschritten werden, wenn sich die eigene Spielfigur auf einem Ort der passenden Farbe befindet. Sobald eine Figur die letzte Barriere erreicht hat, wird die aktuelle Runde abgeschlossen und dann noch eine komplette Runde zur Umsetzung der verbleibenden Ressourcen absolviert.
Am Ende einer Runde wird ausgewertet: Wer hat die Ortskarte mit der höchsten Zahl gespielt? Diese Person wird nun vom Bösen betroffen und muss eine „Bösewichtkarte“ vor sich ablegen. Das ist zunächst noch nichts Schlimmes. Doch sobald der Oberbösewicht – Achtung Buchfreunde, hier schlägt das Thema voll zu: Der Natternkopf! – auf einer solchen Karte erscheint, schlägt die dunkle Seite zu. Der Spieler mit den meisten Bösewichtpunkten muss die Hälfte seiner Plättchen, sowie die Hälfte seines Proviantes abgeben. Wer das Böse kommen sieht, kann natürlich vorher das Meiste ausgeben und erleidet kaum Schaden – doch um die lukrativen Vierer-Sets zu sammeln, müssen doch meist mehrere Orte besucht werden. Wer die aktuelle böse Karte bekam, darf die Startspielerposition vergeben und in der nächsten Runde entweder die erste oder die letzte Aktion durchführen. Gerade in Hinsicht auf die Bösewichtkarten ist es angenehm, hinten zu sitzen, um eine genügend niedrige Ortskarte wählen zu können.
Um alle Ortskarten zurück auf die Hand nehmen zu können, muss man aussetzen. Hier gilt es abzuwägen: Ist genügend Tempo im Spiel, so dass man womöglich komplett ohne Aussetzen durchkommt? Ärgerlich ist es, wenn man in der letzten Runde nicht aktiv werden kann, weil man just zuvor die letzte Ortskarte gespielt hat. Hier hilft etwas Spielerfahrung, um ein Gefühl für den Rhythmus des Spiels zu entwickeln und besser abschätzen zu können, wie viele Runden es wohl noch gehen mag. Wer sich mit Überschreiten der Barrieren einen Vorsprung erspielt hat, wird gerne auf Tempo spielen. Ein kleines Handicap für den Führenden, das in der zweiten Spielhälfte zum Einsatz kommt, bremst solches Vorpreschen dezent aus. Liegen alle etwa gleichauf, lohnt es sich womöglich eher, die eigene Sammlung an Plättchen und Karten zu optimieren. Andererseits kann es auch lohnen, die Karten schon früh wieder aufzunehmen, um zumeist nur niedrige Zahlenwerte ausspielen zu müssen und so das Böse möglichst ganz zu vermeiden.
Prädikat:
1 von 3 Tintenfedern
Die Beschäftigung mit Tintenblut lohnt sich insgesamt nicht nur für Funke-Fans. Ob umgekehrt ein Spieler schon zum Buch gegriffen hat, wage ich allerdings zu bezweifeln. Dazu wird von Handlung und Personen zu wenig vermittelt. Während sich hinter Lizenzprodukten leider oft genug Spiele mit dünnem oder gar ärgerlich schlechtem und damit abschreckendem Mechanismus verbergen, bieten sich Literaturverspielungen wie diese schon eher an, um Leser auch zu – zumindest gelegentlichen – Spielern zu machen.