Ich weiß nicht, was die alten weisen Nomaden von Assur raten würden. Ich könnte mir aber vorstellen, dass auch sie im Falle eines Falles Kamele empfehlen würden. Vor die Wahl gestellt, ist es auch besser, gleich viele Kamele zu besitzen, als später wenige zu züchten. Dazu später mehr.

Denn um den wahren Wert von Kamelen zu erklären, muss ich zunächst ein paar Worte über die Spielidee von Assyria verlieren: Erstaunlicherweise zählen im alten Assur am Ende auch nur Siegpunkte. Diese gilt es in acht Runden zu sammeln. Jede Runde unterteilt sich wie so oft in unzählige Phasen. Zunächst werden wertvolle Nahrungsmittel verteilt und die Spielreihenfolge ermittelt. Dann werden neue Hütten der Spieler auf dem Plan verteilt. Selbstredend sind die Hüttenbewohner hungrig und wollen ernährt werden. Satte Nomaden produzieren dann Siegpunkte oder Kamele. Kamele gibt es nur an Flüssen, Siegpunkte nur in der Wüste. Mit Kamelen können dann in der Hauptstadt Assur tolle Sachen gekauft werden, nämlich Siegpunktanteile, Zikkurate und neue Nahrungsmittel. Ich weiß jetzt auch, weshalb die alten Völker so scharf auf Zikkurate (Stufenpyramiden) waren: Sie brachten Siegpunkte ohne Hunger zu bekommen. Doch ich greife schon wieder voraus. Denn nach je zwei oder oder drei Runden kommt es zur Überschwemmung, die alle Hütten an Flüssen zerstört, dabei aber auch größere Mengen von Siegpunkten anschwemmt.

Bild von Assyria

Auf genauere Regeldetails und Regelfragen will ich nicht eingehen. Die Anleitung ist umfangreich und enthält alle fürs Spiel notwendigen Abläufe und Antworten. Nur war wohl irgendwer der Ansicht, dass was schwer zu spielen sei, auch schwer zu lesen sein sollte – und gab sich viel Mühe, zwar fehlerfreies und stimmungsvolles, dabei aber möglichst unübersichtliches Spielmaterial zu schaffen. An fehlende Kurzspielregeln und kontrastarme Spielregeln, deren Schrift sich kaum von der ockerfarbenen Hintergrundfarbe abhebt, habe ich mich schon länger gewöhnt. Auch mit verwirrenden Aufbauregeln, deren Sonderfälle für das Zwei- und Dreipersonenspiel zwischen Spielende und Spielzusammenfassung zu finden sind, bin ich schon von anderen Ystari Spielen vertraut. Neue Meisterleistungen der Spielerverwirrung finden sich aber in den Bau- und Hochwaserregeln. Elegant wurden auch alle wichtigen Informationen auf dem Spielplan versteckt. Mit guten Augen und unter perfekten Lichtverhältnissen können sie sogar erkannt und dechiffriert werden. Erst jetzt kann ich die zwar unschöne, aber durch und durch praktikable Farbgebung von „Durch die Wüste“ wirklich würdigen.

Hat sich eine Spielgruppe erfolgreich die Regel von Assyria erarbeitet, darf sie sich nicht nur „Bezwinger der Anleitung“ nennen, nebenbei wird sie auch mit einem gleichermaßen spannenden wie anspruchsvollen Spielgeschehen belohnt. Zu zweit und zu dritt gestaltet sich eine Partie noch vergleichsweise locker. Deshalb rate ich zum Kennenlernen kein Spiel in voller Besetzung. Denn zu viert ist Assyria gnadenlos. Wenn nicht alle Spieler hochkonzentriert bei der Sache sind, werden spätestens in Runde ein oder zwei die Verlierer feststehen, die nur noch um den dritten Platz kämpfen können. In erfahrenen Runden wird jeglicher Spielfehler während der Anfangsrunden das Aus jeglicher Siegträume bedeuten. Zementiert wird dies durch die Spielreihenfolge. Wer vorne sitzt, kann später ziehende Spieler leicht von siegrelevanten Feldern abdrängen. Schlimmer noch: Wer einmal als Letzter agieren muss, wird diese Position nur mit Gnaden der Mitspieler verlassen können. Dabei ist es kein Nachteil, an Position vier zu spielen, nur will dann jede Aktion doppelt und dreifach überdacht und wirklich langfristig geplant sein. Vor der zweiten oder dritten Überschwemmung kann es sogar ratsam sein, sich von der Startposition nach hinten fallen zu lassen, doch dazu bedarf es vieler Kamele. Um die taktischen Feinheiten und Möglichkeiten zu überblicken, werden einige Übungspartien benötigt. Als grobe Marschroute für den Sieg hat sich bei uns eine „Kamel-Zikkurat Strategie“ als dominant erwiesen.

Die Kamel-Zikkurat Strategie

Achtung, die Lektüre der folgenden Absätze erfordert die genaue Kenntnis der Spielregeln und kann massiv spielspaßstörend wirken!
Ziel der Runde eins ist es, eine Hütte auf beiden Flüssen zu errichten. Die Verbindung sollte möglichst nicht am Spielrand verlaufen. Damit bekommt man direkt 6 oder sogar schon 8 Kamele. Nebenbei ist damit schon für einen Mitspieler die Ausbreitung in die Spielplanmitte verbaut. Mit den Kamelen erwirbt man eine zweite Zikkuratbasis am zweiten Fluß. Dies reduziert die weitere im Spiel benötigte Nahrung und schafft die Grundlage für eine schnelle Ausbreitung nach den Überschwemmungen.

In Runde zwei sollten zwei weitere Flusshütten erworben werden, um den Kamelertrag auf zehn zu steigern. Mit diesen erwirbt man das dritte Zikkurat, kauft Nahrung und - sofern notwendig - den Pflug. Überzählige Kamele werden geopfert oder am unteren Würdenträger eingesetzt.

In Runde drei besetzt man wieder Flussfelder möglichst gleicher Waren und produziert von nun an möglichst immer zehn Kamele und kauft das vierte Zikkurat. Dann wird geopfert. Bei der zweiten und dritten Überschwemmung sollten so je 16 Punkte über das Opfern erreicht werden.

Ab Runde vier werden Würdenträger bestochen. Falls möglich, lohnt es jetzt auch Brunnen zu errichten. Vorrang hat aber weiterhin die Kamelproduktion. Nur überzählige Kamele sollten zum Erweitern von Zikkuraten verwendet werden.

In Runde 5 und 8 kann es sich lohnen, als dritter oder vierter zu spielen, um auf Bestechungen der Mitspieler reagieren zu können.

In den beiden letzten Runden können Hütten knapp werden. Dicke Siegpunkte gibt es jetzt nur noch bei Würdenträgern. Deshalb lohnt es sich durchaus, Hütten willentlich verhungern zu lassen, um mehr Würdenträger bestechen zu können.

Mit dieser Strategie lassen sich 120-130 Punkte erreichen.

Ich hoffe für das Spiel, dass es noch andere Methoden zum Sieg gibt oder zumindest eine gute Konterstrategie existiert. Sonst wird bei fehlerfreiem Spiel entweder der Startspieler der ersten Runde oder zumindest der Spieler mit etwas größerem Glück beim Nahrungsnachschub gewinnnen.
Wie immer bin ich neugierig auf stärkere Ansätze, die noch mehr Punkte generieren können. Abseits dessen ist Assyria zwar ein ziemlich abstraktes, aber überaus reizvolles Spiel, eben weil es so anspruchsvoll und intolerant gegenüber kleinsten Fehlern ist.
Bild von 1 von 3 Kamelen
Prädikat
:
1 von 3 Kamelen
Freunde der Spiele von Emanuele Ornella werden keinesfalls enttäuscht, da er den Stil von Hermagor und Il Principe konsequent fortsetzt, ohne sich dabei zu wiederholen. Wer hingegen den mühseligen Einstieg scheut oder keine Spiele mehr sehen kann, bei denen Siegpunkte auf hundert Arten verzahnt vergeben werden, sollte die Finger von Assyria lassen.

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