Erstveröffentlichung am 3.6.2006 bei Hall9000.
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Der Pharao hat sich entschieden, den Monotheismus durchzusetzen, so dass nur noch der Gott Aton verehrt werden darf. Die Priester von Amun verteidigen ihre Tempel und wollen verhindern, dass der Einfluss Atons über Amun überhand nimmt. Der Schauplatz dieses Spiels versetzt uns als Priester der beiden Gottheiten mitten in diesen Konflikt: Wer kann den Einfluss seiner Gottheit besser durchsetzen?

Als Vertreter der konkurrierenden Gottheiten gegenüber sitzen die Spieler am Spielplan, der die vier Haupttempel von Theben darstellt. In jedem Tempel gibt es 12 Felder, die sich in gelbe und grüne Bereiche mit je drei oder vier Feldern, zwei bis drei schwarze Felder, ein oder zwei Bonusfelder und je ein blaues Feld aufteilen. Auf diese Felder werden nach und nach Steine in den Spielerfarben eingesetzt, die den Einfluss der Gottheiten darstellen.

Durch gezielte Besetzung bestimmter Felder kann ein Spieler diesen Einfluss in den Sieg seiner durch ihn vertretenen Gottheit umwandeln: Eine der vier möglichen Siegbedingungen verlangt, einen Tempel vollständig mit Steinen der eigenen Spielerfarbe zu besetzen. Ebenfalls triumphieren kann ein Spieler, wenn es gelingt, alle gelben oder alle grünen Felder in den vier Tempeln zu besetzen. Gelingt dies einem Spieler, ist das Spiel sofort mit dessen Sieg beendet.

Um die verbleibende Siegbedingung zu erfüllen – nämlich zuerst 40 Siegpunkte zu erringen – schauen wir uns aber lieber erstmal an, wie die Spielzüge aussehen: Hierzu stehen den Spielern zwei identische Kartensets zur Verfügung. Die Karten zeigen die Werte 1 bis 4. Vier Karten bilden die Grundlage für einen Zug und werden von den Spielern den möglichen Aktionen, dargestellt durch ägyptische Kartuschen am Rand des Spielplans, zugewiesen. Einmalig im Spiel darf man sich einen neuen Satz an 4 Karten ziehen.

Gestartet wird mit einem kurzen Muskelspiel: Wer hier eine höhere erste Karte anlegt, erhält die verdoppelte Differenz der Punktewerte direkt als Siegpunkte gutgeschrieben. Der Vergleich der jeweils zweiten Karte bestimmt den Startspieler dieser Runde: Wer die niedrigere Zahl gelegt hat, beginnt die folgenden Aktionen. Ferner gibt der Kartenwert an, ob Spielersteine aus den Tempeln entfernt werden. Bei einer gelegten 1 muss der Spieler selbst einen Stein in das Reich der Toten (= Ablage) verlegen. Hat er jedoch eine 3 bzw. 4 investiert, darf er 1 bzw. 2 Steine des Kontrahenten dorthin bringen.

Nach Bestimmung der Spielreihenfolge führt nun zunächst der frisch gekürte Startspieler alle verbleibenden Tätigkeiten aus: Ausser der Entfernung der Spielsteine, die sich aus der oben beschriebenen Konstellation ergibt, darf er noch weitere eigene Spielsteine in die Tempel einbringen. Die dritte Karte seiner Auslage zeigt an, welche Tempel hierfür in Frage kommen. Der vierte Tempel kann also nur durch Einsetzen oder Entfernen von Spielsteinen manipuliert werden, wenn der Spieler eine 4 investiert hat. Die Anzahl der einzusetzenden Spielsteine wird durch die vierte Karte bestimmt. Nach Abschluss der Ausführung aller Karten des Startspielers kommt nun noch der Gegenspieler zum Zug.

Liegen am Ende einer Runde 8 Spielersteine im Reich der Toten – dies kann durch reguläres Entfernen bevölkert werden, oder auch durch voll besetzte Tempel, die ein weiteres Einsetzen von Spielsteinen verhindern – kommt es zur Wertung. Der Einfachheit halber hier eine kurze Auflistung der Wertungskomponenten:

In den vier Tempeln erhält jeweils der Spieler Siegpunkte, der die meisten Spielsteine in diesem Tempel eingesetzt hat:

  • Im ersten Tempel wird die Differenz zwischen der Anzahl der Spielsteine der beiden Spieler gebildet und als Siegpunkte gutgeschrieben.
  • Fünf Siegpunkte als Pauschalertrag sind im zweiten Tempel zu holen.
  • Der Anzahl eigener Spielsteine entsprechend schlagen Siegpunkte im dritten Tempel zu Buche.
  • Wer die Mehrheit im vierten Tempel für sich entscheiden konnte, darf für jedes von einem eigenen Spielstein besetzte blaue Feld 3 Siegpunkte einheimsen – bis zu 12 Siegpunkte winken also hier.
  • Zwei weitere Wertungskomponenten werden für unabhängig von den Tempelmehrheiten besetzte Felder vergeben:
  • Zunächst werden die Bonusfelder entsprechend der aufgedruckten Zahl in Siegpunkte verwandelt – 1 oder 2 Siegpunkte sind hier pro besetztem Feld zu holen.
  • Die insgesamt 10 schwarzen Felder können einem der Spieler noch 8 Siegpunkte einbringen, wenn er eine eindeutige Mehrheit erringen konnte.

Als Abschluss der Wertung müssen die Spieler noch je insgesamt 4 eigene Spielsteine möglichst gleichmässig aus den Tempeln entfernen. Wurde bei der Wertung die Marke von 40 Siegpunkten überschritten, endet das Spiel mit dem Sieg des punktestärkeren Spielers.

Spielmaterial und -regel stellen dem Spieleinstieg keine Hindernisse in den Weg. Beide Komponenten sind solide gestaltet und lassen keine Probleme aufkommen. Einzig wünschenswert wäre es gewesen, die Mehrheitenwertung für die schwarzen Tempelfelder (bei der 8 Siegpunkte vergeben werden) ebenfalls auf dem Spielplan zu finden, um es während der Partie vor Augen zu haben. Die Grafik lehnt sich gut ans Thema an und wer aus Interesse am geschichtlichen Hintergrund ein wenig recherchiert, erkennt besonders in diesem Bereich viel Liebe zum Detail (Darstellung von Aton mit den Sonnenstrahlen, Kartuschen für die Planungsfelder der Spielerzüge etc.). Darüberhinaus ist freilich der Mechanismus recht abstrakt, so dass das Thema zwar als gelungene Untermalung angesehen werden kann, sich aber nicht unbedingt aufdrängt.

In den anfänglichen Spielzügen der ersten Partie gilt es zunächst, ein Gefühl für den Mechanismus zu bekommen. Dieser ist ein wenig ungewohnt und ungewöhnlich. Ein wichtiger Aspekt ist es, die richtige Schwerpunktsetzung für die in der aktuellen Runde zur Verfügung stehenden Zahlenwerte zu erhalten. Eine flexible Anpassung an die gegebene Situation ist für ein gutes Abschneiden unerlässlich. Droht der Gegner etwa mit der Erfüllung einer Siegbedingung über Besetzung bestimmter Tempelfelder, sollte man möglichst über die Spielreihenfolge und flexibles Einsetzen (Möglichkeit, auch in den Tempeln mit höheren Zahlen zu agieren) gegensteuern. Bei gleich starken Spielern endet das Spiel selten über dieses Kriterium, und geht zumeist durch das Überschreiten der Marke von 40 Siegpunkten zuende. Durch das konzentrierte Engagement in einem Tempel oder auf grünen bzw. gelben Feldern kann man den Gegner jedoch effektiv unter Druck setzen und zu defensivem Handeln zwingen. Ob der flotten Spieldauer sollte eine Revanche immer möglich sein und wurde in meinen Testrunden meist gewünscht und natürlich durchgeführt.

Die Verzahnung der Elemente ist gut gelungen: Wer früh an der Reihe sein möchte, hat typischerweise im Ausgleich für den Startspielervorteil wenig Möglichkeiten, gegnerische Spielsteine zu entfernen oder muss sogar (eingesetzte 1) einen eigenen entfernen. Durch die verdeckte Planung muss man freilich den Mitspieler ein wenig einschätzen: Welche Interessen verfolgt dieser, und wie kann ich durch Einsatz meiner zur Verfügung stehenden Zahlenwerte hier profitieren oder ihn ausbremsen? Auch die Frequenz der Wertungen kann beeinflusst werden. Gelangen wenige Spielsteine in das Reich der Toten, kann eine Partie mit nur einer Wertung vorkommen, wenn zugleich viele Siegpunkte über unterschiedliche Punktzahlen an der ersten Kartusche (doppelte Differenz der Kartenwerte werden als Siegpunkte gutgeschrieben) vergeben werden.

Zwar erscheint es zunächst stark glücksabhängig zu sein, welche Karten man nachzieht. Andererseits sind die Voraussetzungen in Form der identisch verteilten Kartenstapel gleich, so dass über lange Sicht hinweg ein Ausgleich stattfindet. Die einmalige Möglichkeit des Kartentausches wirkt hier frustmindernd. Während einer Partie mischt man den Stapel meist einmal nach, so dass auch alle hohen Karten einmal durchgesetzt werden.

Insgesamt ist Aton damit ein gelungenes Zwei-Personen-Spiel mit etwas ungewöhnlichem Mechanismus, das wegen der unterschiedlichen taktischen Möglichkeiten und Siegbedingungen ständige Aufmerksamkeit erfordert und dabei einen hohen Wiederspielreiz bietet.

Kathrin Nos – 3.6.2006

POSTSCRIPTUM:

Eine Studienreise nach Ägypten brachte mich auf die Idee nochmal einen genaueren Blick auf einige gute Spiele gleichen Themas zu werfen.

Echnaton gehörte sicherlich zu den schillersten Gestalten der Pharaonen. Um seinen hochgradig abstakten Sonnenkult ranken sich allerlei Gerüchte und Vermutungen. Manch einer will in ihm Moses erkennen, andere vermuten in seinem Kult einen Vorläufer des Islam, da er sich nicht als Messiasgestalt sondern mehr als Botschafter sah. – Nach einigen Tagen Ägypten beginnt ein jeder unweigerlich solch Überlegungen und findet für jede Sage, jeden Kult oder Religion die Ursprünge im Nilschlamm. Da finden sich Engel, die Zeichen der Evangelisten, Drachen, Medusen, das Amen (=Amun) aus der Kirche, die 10 Gebote, das Schwein als Bösewicht und vieles mehr. Was davon stimmt kann ich nicht bewerten, faszinierend ist es allemal.

Zurück zu Echnaton. Er reagierte schon vor etwa 3300 Jahren. Geblieben ist von ihm fast nichts, da die von ihm entmachteten Priester des Amun nach seinem Ableben flugs die Macht wieder übernahmen, den eher schwächlichen Tutenchamun auf den Thron setzten und systematisch begannen seine Bauten zu schleifen. Die wenigen Überbleibsel sind jedoch um so erstaunlicher. In der 3000 jährigen Ägyptischen Geschichte scheint es nur wenig künstlerische Entwicklung zu geben. Auf höchsten Niveau wurden am Fliesband jahrein, jahraus Reliefs, Statuen, Tempel und Gräber errichtet. Sicherlich gab es kleinere Nuancen nachdem die Perser das Rad oder die Ptolomäer Impulse beim Säulenbau brachten. Mit dem Blick eines Laien scheinen die Unterschiede aber weitaus geringer als die Entwicklung von der Früh- zur Spätgotik. Die Kunstwerke aus Echnatons Zeit sind hingegen überaus expressionistisch und erfrischend anders. Sie passen zum späten Reich Ägyptens wie Edvard Munch ins Mittelalter.

Leider konnte ich sein Schaffen nur in Museen mit Fotografierverbot bewundern. Als Ausgleich zeigt das Foto die überaus bombastische Säulenhalle des Amuntempels in Karnak.


Bild der Säulenhalle von Karnak

Zwei weitere Persönlichkeiten warten noch darauf in guten Spielen verewigt zu werden. Ramses II lebte 104 Jahre, hinterlies mehr als 100 Söhne und errichtete wie ein verfrühter russischer Kommunist auf fast jedem Dorfplatz mehrere bombastische Statuen seiner selbst. Groß und lang wahr wohl sein Motto. – Kein Wunder das einige Produkte schummriger Discokloautomaten nach ihm benannt sind.


1 von 3 Hieroglyphen

Prädikat
:
1 von 3 Hieroglyphen
Auch auf Hatschepsut sollte mal ein Autor einen Blick werfen. Auch ihre Bildnisse wurde großteils zerstört. Da der Beruf des Pharaos eigentlich nur Männern offenstand (kommt daher vielleicht das Zölibat?) hängte sie sich flugs einen Bart um und übernahm die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn. Über gut zwanzig Jahre herrschte sie so zusammen mit ihrem Lieblingsbaumeister bevor sie mysteriös verstarb.

P.S.: Unser Blog bietet nun eine neue Funktionalität – ein Klick auf manche der Fotos (z.B. die oben gezeigte Säulenhalle von Karnak) bringt das Original zum Vorschein.

Peter Nos

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