Erstveröffentlichung im Juli 2009 in der Fairplay 88.
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Gleich, gleicher, aber nicht am gleichesten

Italien zur Zeit der Renaissance. Das hat Wiedererkennungswert. Wer nicht völlig einseitig nur in festen thematischen Bahnen spielt, war sicher schon einmal hier und fühlt sich jetzt heimisch. Welche Stadt darf es sein? Lucca, Firenze, Siena, Bologna oder Milano? Jeder baut seine „Comune“ aus. Die Sparten Kultur, Wirtschaft, Religion und Militär lassen weitere bekannte Saiten anklingen. Denn die toskanischen Stadtstaaten brachten bekanntlich berühmte Künstler hervor. Deren Finanzierung wurde durch geschickten Handel abgesichert. Schließlich handelte es sich um weltliche Mäzene. Die katholische Kirche hat und hatte in Italien traditionell starkes Gewicht. Und der Begriff „Condottiere“ für die angeheuerten Söldner zur Verteidigung der Stadtstaaten schließlich ist spätestens seit dem gleichnamigen Spiel ebenfalls ein Begriff.

Doch lässt COMUNI auch andere Assoziationen zu. Hängt man phonetisch ein „-smus“ an, so denkt man womöglich an ganz andere Begriffe wie: Bürokratie, Gleichheit, Mehrjahrespläne. Ein gerütteltes Maß an Bürokratie bekommt man bei COMUNI gleich zu Beginn zu spüren. Denn der Aufbau geht nicht gerade flott von der Hand. Jede Comune besitzt unterschiedliche viele Ressourcen. Gold für die Sparte Handel, Armeen für Militär, Pilger in punkto Religion, sowie Handwerker als Repräsentanten der Kultur. Merken kann sich diese Liste niemand, es muss also Partie für Partie nachgeschlagen werden. Ganz gewiefte Optimierer können sich dem entziehen, indem sie zu http://spielepizza.de/s-comuni.htm surfen und sich dort einschlägiges Übersichtsmaterial herunterladen.
Jeder Spielerzug beginnt mit der Entscheidung über zukünftige Projekte. Für jede der vier Sparten können – und sollten! – Gebäude gebaut werden. In Form von Karten werden diese zunächst projektiert. In jedem Zug kann eine bestimmte Anzahl nach und nach gebaut werden. Eine Gebäudekarte wird alternativ in ihrer zugehörigen Sparte oder als Stadtmauer eingesetzt. Doch zunächst müssen die Spieler überhaupt erst an diese Karten gelangen. Auf dem Spielplan liegt das Angebot an Karten in einer spielerzahlabhängigen Anzahl an Spalten aus. Während die vermeintlich lukrativste Spalte gleich drei Karten enthält, muss in anderen mit lediglich einer Karte vorlieb genommen werden. Als Ausgleich gibt es eine beliebige Ressource als Dreingabe.

Wer eine Spalte mit Karten als Komplettpaket abgreifen möchte, bietet mit einer seiner drei Gesandtenfiguren darauf. Erst frühestens in der nächsten Runde können die so beanspruchten Karten eingesammelt werden. Sicher sind sie keineswegs, denn unter Aufbietung der Ressource Gold dürfen bereits anwesende Gesandte verdrängt werden. Wer sich absichern möchte, verstärkt also das eigene Gebot bereits beim Einsetzen mit einer oder mehreren Einheiten Gold. Lässt sich jetzt noch jemand das Gebot mehr Gold kosten? Logischerweise ist beim Einsatz das richtige Händchen für die Höhe des Goldeinsatzes gefragt. Wer zu viel bietet, erhält zwar sicher den Zuschlag, wird das Gold jedoch später schmerzlich vermissen.

Gemein: Wer durch ein höheres Gebot verdrängt wird, muss entweder seinen Gesandten ganz zurück vom Plan nehmen und verliert damit die eingesetzte Aktion. Oder man bezahlt eine Pilger-Ressource, um den Gesandten mit seiner Börse voller Gold in eine andere Spalte setzen zu dürfen. Womit auch ein möglicher Einsatz der Pilger erwähnt wäre. Alternativ können zwei von ihnen in ein Gold eingetauscht werden. An diese Art der Verwendung denkt allerdings kaum jemand, weil sie leider nirgendwo visualisiert wird.

Wer risikofreudig oder genügend goldgewaltig ist, kann bei genügend vielen freien Spalten bis zu drei Gesandte einsetzen, bevor er diese einfordert und auf die Hand nimmt. Denn die Aktion des Kartennehmens wirkt sich auf alle entsprechenden Spalten aus.
Doch bevor es an den Gebäudebau geht, muss der nächste Paragraph des Bürokratie-Handbuchs abgearbeitet werden. Schritt 1: Karten auffüllen. Schritt 2: Zählstein anpassen. Denn im Vierjahresplan des Kommunenbaus stehen entsprechend viele (na, vier halt) Kartenstapel zur Verfügung. Die verbleibende Kartenzahl ist fein säuberlich auf einer Skala anzupassen, um das Ende kommen zu sehen. Wird nun die letzte Karte des Stapels gezogen, kommt es zur Invasion. Praktisch eigentlich, dass Feinde so berechenbar sein können …

Doch richten wir uns für einen Moment nach der Reihenfolge in der Spielregel. Bevor der geneigte Leser dort erfährt, wie eine Invasion funktioniert, muss er zuerst noch den restlichen Ablauf eines Spielzuges durchforsten. Wer baut, darf eine Karte als Gebäude und eine weitere als Stadtmauer einsetzen. Die Zahl auf der Karte gibt die erlaubte Höhe an. Bis zu vier Stockwerke kann ein Gebäude erreichen. Wer keine passende Zahl hat, aber trotzdem aufstocken möchte, überbrückt diese Differenz mit der Ressource „Handwerker“. Für alle anderen Bauten als Stadtmauern werden sofort die erzielten Siegpunkte – entsprechend der hinzugekommenen Stockwerkshöhe – abgetragen. Ferner wird diese Gebäudeart „aktiviert“ – dies ist relevant für die Erlangung von Nachschub. Da man nach dem Bau nur zwei Handkarten behalten darf, empfiehlt es sich, genügend Handwerker zu beschäftigen. Pro eingesetztem Handwerker darf ein weiteres Duo aus Gebäude und Stadtmauer gebaut werden.

Wie gelangt man an neue Ressourcen? Anstelle sich am Ringelreihen um die Karten zu beteiligen, kann man Erträge einfahren. Wer in den Runden zuvor gebaut hatte, darf nun für jede entsprechend aktivierte Gebäudeart „ernten“. Die Anzahl der erhaltenen Ressourcen entspricht der Höhe des höchsten Gebäudes dieser Art. Zwar dürfen mehrere einstöckige Bungalows für jede Art errichtet werden – doch bringen diese nicht nur weniger Siegpunkte ein, auch bei der Ernte ginge es zu Lasten des Ertrags.

Doch Sie kribbeln doch bestimmt schon vor Neugier. Da war doch vor einigen Abschnitten noch die Rede von der Invasion. Gefahr, Nervenkitzel, Herausforderung? Im Prinzip ja, doch erst ist wieder ein wenig Bürokratie zu absolvieren. Wer aktuell die wenigsten Siegpunkte hat, muss seine Comune gegen die so genannte „Basis-Angriffstärke“ verteidigen. Während die erste Invasion mit einer Stärke von 4 erfolgt, wird es in der vierten und abschließenden Invasion mit 16 Punkten schon richtig heftig. Alle anderen Spieler sortieren sich entsprechend ihrer Siegpunktdifferenz ein. Also: Spielermarker neben die Siegpunktmarker einsetzen und entsprechend verschieben. Wer davon geprescht ist, muss einer signifikant höheren Angreifertruppe standhalten. Besser, man bleibt genügend dicht am Schwächsten und ragt nicht zu sehr heraus. Es reicht, am Ende mit einem Siegpunkt Abstand gerade die Nase vorn zu behalten. Bloß nicht zu sehr protzen!

Geheim und gleichzeitig entscheiden die Spieler, wie viele Armeen sie einsetzen. Die entsprechenden Ressourcensteine verteilen sie schon versteckt auf eine gemeinsame Streitmacht und auf die Verteidigung der eigenen Comune. Wer fürs Gemeinwohl kämpft, hilft allen Spielern, doch wer hier die meisten Armeen beiträgt, erhält zusätzliche Siegpunkte. Die den riesigen Vorteil haben, erst bei Spielende zu zählen – in den weiteren Invasionen müssen sie nicht verteidigt werden. Also lieber nicht zu viel ins gemeinsame Heer investieren, denn in der privaten, eigenen Verteidigung werden diese Armeen bitter fehlen. Hier profitiert man zusätzlich von den Stadtmauern. Die Höhe des bemannten Stockwerks gibt die Stärke seiner Verteidigung an. Eine einzelne Armee auf dem vierten Stock einer Mauer hat somit einen Verteidigungswert von 5. Wer sich gut rüstet, kann auf diese Weise auch mit der schrecklichen 16er Invasion realistisch fertig werden. Für nicht abgewehrte Stärkepunkte müssen Schadensplättchen hingenommen werden, die durch den Einsatz von Pilgern nur nach und nach mühselig wieder abgebaut werden können.

Doch mit der Bürokratie ist es noch nicht vorbei. Immer im Blick behalten muss jeder die Schlussabrechnung. Zettel zücken und Bleistifte spitzen ist nicht nötig, dafür gibt es die umlaufende Wertungsleiste, aber lang ist die Liste allemal. Wer die meisten Gebäudepunkte in einer Kategorie besitzt, erhält drei Punkte. Abrechnen und vier Kategorien als erledigt abhaken. Für jede der vier Ressourcen werden Mehrheitenpunkte verteilt. Wieder vier Haken. Jetzt werden die Belohnungsplättchen aus den Invasionen abgerechnet, sowie die dabei entstandenen Schäden abtragen. Und schließlich noch die Gebäudepunkte: Es punktet die am schwächsten ausgebaute Sparte mit dem aktuellen Gebäudewert. Alles klar?

COMUNI konnte in der Fairplay-Scoutaktion 2008 den dritten Platz erringen. Doch sehr präsent war dieses Spiel seitdem nicht mehr. Maßgeblich verantwortlich sind der sperrige Einstieg und stockende Spielfluss. Mitunter hilft eine hartnäckige Suche nach diversen gut versteckten Details in der Regel, etwa für die nicht intuitive Verwendung der verschiedenen Ressourcen. Manches Mal bleibt jedoch nur die Recherche nach Errata im Internet.
Wer sich aber im Spiel einmal zurechtgefunden hat und an alle Regeldetails denkt, wird den Reiz verspüren, seine Comune geschickt auf den Punkt zu planen. Wie gelangt man an die richtigen Gebäude? Wann gelingt es, die Mitspieler mit dem richtigen Gebot um Nasenlänge auszustechen? Wer hat das beste Gespür fürs Timing und kann so die Invasionen ohne Blessuren überstehen? Die Klassifizierung „Geheimtipp“ ist somit weniger dem Gespür unserer Scouts zu verdanken. Vielmehr versteckt sich hinter der riesigen Regelhürde ein durchaus ansprechender Ausflug in die Renaissance. Doch wehe, man besucht sie nicht regelmäßig – schwupps, schon wieder versteckt sich der Teufel im Wust der Details.

Kathrin Nos

POSTSCRIPTUM:

Bild von Comuni

Zunächst möchte ich eine Frage beantworten, die sich wohl jeder Comunispieler stellt: „Lohnt es sich, auf der Siegpunktleiste voranzuprechen oder ist es besser, im Windschatten zu spielen?“ – Meine Meinung lautet: „Voranpreschen, koste es was es wolle!“ – Auch wenn dann stärkere Gegner besiegt werden müssen: Der Vorteil der vielen Bauten überwiegt das Risiko, und bis zum Spielende lassen sich Stück für Stück eventuelle Siegpunktschäden wieder beseitigen. Wer keine Schäden hat, vergibt Aktionen. Wer viel baut, wird auch viele Mehrheiten und viele Extrasiegpunkte für gleichmäßiges Bauen abstauben können. – Ich befürchte fast, dass das zentrale Element von Comuni, die erschwerte Abwehr zu protziger Bauten, kaputtspielbar sein könnte. Sicher bin ich mir aber nicht – denn:

Die Angaben zur Spieldauer in unserem Blog sind häufig niedriger oder am unteren Ende des auf der Spielschachtel angegebenen Bereiches. Bei Comuni ist dies anders. Selbst mit Grüblern wäre es möglich, das Spiel prinzipiell in den vom Verlag angegebenen 90 Minuten zu beenden. In der Realität ist dieser Rekord aber aus zwei Gründen kaum erreichbar: (i) Comuni zu spielen erschöpft. Es ist ein typischer Vertreter der Kategorie „Arbeitsspiel“. Jeder lobt es, aber niemand will es häufiger spielen. Raffen sich schließlich einmal ein paar Spieler zu einer erneuten Partie auf, haben zumindest einige von ihnen mehr oder minder die Regeln vergessen. Bild von 1 von 3 Türmen
Prädikat
:
1 von 3 Türmen

Damit komme ich zu Grund (ii): Das Klären aller Regelfragen dauert mindestens 30 Minuten und wegen (i) wird Comuni nie ohne vorherige Regelklärung gespielt.

Wir sind froh, Comuni in unserem Regal stehen zu haben. Ich befürchte aber, dass es nicht mehr häufig gespielt wird. – Schade.

Peter Nos

P.S. Das Foto stammt aus der Gegend von Florenz

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