Die Tore der Welt

Schade eigentlich. Die sich aufdrängenden Einfälle für eine Einleitung über den historischen Roman mit wackeren Helden und fiesen Halunken hat Peter schon bei Die Säulen der Erde verbraten. Macht aber nichts. Denn mittels der Einleitung lässt sich das Déjà -Vu Gefühl bestens transportieren. Wer Spielplan und Material zu Die Tore der Welt auspackt, fühlt sich zwangsläufig sofort wieder ins bekannte Säulen der Erde versetzt. Samt opulentem Spielplan, monumentaler Kathedrale und schicksalshaften Ereignissen. Also: Auf zu heroischen Taten in den Wellen des Schicksals!

Im Mittelpunkt steht zunächst einmal das nackte Überleben. In Kingsbridge benötigt man dazu: Getreide, Frömmigkeit und schnöden Mammon für die Steuerzahlung. Während die ersteren zwei direkt von der Hand in den Mund bzw. Himmel geschickt werden können, muss die Kohle erstmal mühselig herangeschafft werden. Beispielsweise über Wolle, die am besten gleich noch in Tuch verarbeitet und dann am Markt verkauft wird. In vier Kapiteln erleben die Spieler je sechs zufällig aus elf möglichen Runden. In manchen Romanen werden Kapitel oder Unterkapitel mit klugen Sprüchen oder Zitaten eingeleitet. Ähnlich ist das Spiel gestaltet: Die Spieler erfahren in jeder Runde in kleinen Bröckchen, was so abgeht in Kingsbridge. Etwas bedenklich: Trotz der völlig beliebigen Aneinanderreihung der Informationsfetzen funktioniert das Kennenlernen der Hauptpersonen und Handlungsorte tadellos. Wie soll das im Roman einen annehmbaren Spannungsbogen ergeben?!

Bild von Die Tore der Welt

Eine Runde besteht aus Einnahmen und Aktionen. Erstere werden vom aktuellen Startspieler verteilt. Nach dem himmelhochjauchzend tollen oder radikal bösen Ereignis bestimmt er, wie die Karte positioniert wird. Jedem Spieler ist einer Ecke der Karte zugeordnet, die wiederum die individuellen Einnahmen anzeigt. Der spendable Verteiler erhält gleich noch einen oben drauf und staubt ein kleines Extra auf der separaten Gunstleiste ab. Fies: Deren Erträge hängen von der Ausrichtung der Karte ab. Wie also die beste Kombination aus Einnahmen plus Gunstleiste für sich selbst erzielen – aber gleichzeitig den Mitspielern nicht die tollsten Einnahmen zuschustern? Doch wenn man ehrlich ist: Nach dem Durchprobieren aller vier Möglichkeiten drängt sich oft genug genau eine Option auf.

Nun zu den Aktionen: Zwölf stehen zu Beginn eines Kapitels zur Verfügung, in jeder Runde führt jeder eine Aktion aus und dreht eine weitere unverbraucht um. Je weiter die Handlung also fortschreitet, desto magerer wird die Auswahl. Gleichzeitig prasseln die ereignisgetriebenen Schicksalsschläge auf die Spieler ein. Gar nicht so einfach: Was behalten, was ablegen? In allen vier Kapiteln wird Nachschub für Getreide und Frömmigkeit benötigt. Andere Aktionen sind nicht über das gesamte Spiel hinweg gleich attraktiv. Die Medizin etwa kann zur Heilung von Pestkranken erst in der zweiten Hälfte eingesetzt werden. Vorher sind noch alle gesund und lassen sich nur gnädig für einen Siegpunkt und ein Geld mal durchchecken. Weitere Aktionen drehen sich um die Wollproduktion und den Verkauf, den Bau von Häusern, die später per Pacht bestimmte Einnahmen bringen können, sowie rund um die Bauwerke. Denn zu Beginn wird zunächst eine Brücke gebaut, später sorgen Ereignisse für den Start weiterer Projekte.

Ganz schön viele Optionen! Doch es ist alles gar nicht so schlimm. Dank der genialen Unterstützung durch das Material gestaltet sich der Einstieg sanfter als befürchtet. Der Rhythmus aus Ereignis, Einnahmen und Aktionen ist schnell intus. Selbst für das Aufräumen am Ende eines Kapitels wurde an Übersichtskarten gedacht, so dass kein Schritt vergessen wird.

Der grobe Verlauf einer Partie folgt den vier Kapiteln. Immer zur Hälfte nach dem zweiten Kapitel beginnt die Pest in Kingsbridge zu wüten. Als festes Bauvorhaben kommt zum selben Zeitpunkt der Turm ins Spiel. Ansonsten wird die Geschichte jedes Mal neu erzählt. Mal können viele zusätzliche Siegpunkte durch Ereignisse erzielt werden, ein anderes Mal müssen die Spieler mit vielen Einschränkungen klar kommen. Dabei ist es freilich auch mal Glück, ob man im passenden Moment eine nicht akut benötigte Frömmigkeit oder genügend Tuch im Vorrat übrig hat.

Überhaupt das Glück: An vielen Stellen darf es mitspielen. Sei es bei der zufälligen Bestimmung der Steuer, bei der Reihenfolge der Ereignisse oder bei der Verbreitung der Pest. Denn welche Patienten in welchen Hütten wie schwer erkrankt sind, ergibt sich erst während des Spiels. Geheilt werden kann durch „medizinisches Wissen“ in Form blauer Bücher. Jeder geheilte Patient belohnt seinen Wohltäter mit zwei Siegpunkten und einem weiteren Vorteil. Wohl dem, der in seinem Zug gleich mehrere Heilungen durchführen kann!

Wer sich Planbarkeit wünscht, wird bei Die Tore der Welt enttäuscht werden. Im Mittelalter lebte es sich von der Hand in den Mund, und so ist es auch im Spiel. Wer sich ganz genial eine lange Aktionskette vorgenommen hatte, die von der Tuchverarbeitung über den Verkauf am Markt bis hin zur Investition des Geldes in Häuser reichte, kann ganz schnell einen vor den Latz kriegen. Denn mal wird der Tuchverkauf radikal unterbunden, ein anderes Mal müssen die Spieler in jeder Runde ihre nicht genutzte Aktionskarte zufällig ziehen lassen. Und schon ist eine der eingeplanten Aktionen futsch. Nein, nein, besser im Hier und Heute leben und agieren.

Ebenfalls nicht einkalkuliert werden können die Einnahmen zu Beginn einer Runde. Konsequenz kann sein, dass die sorgsam aufgesparte Aktion für Getreidenachschub doch nicht benötigt wird. Die frei gewordenen Aktionen können dann für andere Dinge genutzt werden. Dabei ist eines sicher: Sechs Aktionen pro Kapitel sind grundsätzlich zu wenig, jawohl! Eine ausgefallene Aktion kann hingegen tief schmerzen.

Ich bin bei den ersten Partien wegen des nicht erfüllten Wunsches nach Planbarkeit etwas enttäuscht worden. Der nicht unerhebliche Glücksfaktor tat ein übriges, und mein Daumen ging zwar nicht nach unten – dafür ist die Gestaltung zu gut und der Mechanismus zu rund – aber zu einem Jubelbeitrag in unserer Messevorschau hat es bekanntlich nicht gereicht.

Trotzdem spielte ich weiter und habe meine Einstellung zum Spiel überdacht. Der episodenhafte Charakter erfordert, dass man sich als Teil dieser Geschichte versteht und auf das einlässt, was da kommen mag. Die Handlung folgt jedes Mal einem anderen spannenden Verlauf und erzählt die Geschichte in Kingsbridge aufs Neue. Welchen Herausforderungen müssen wir uns beim nächsten Ausflug ins Mittelalter stellen? Keine Partie gleicht der anderen, und so nimmt der Spielreiz von Mal zu Mal sogar noch zu. So wird Spielen wahrlich zum Erlebnis!

3 von 3 Toren
Bild von 3 von 3 Toren
Prädikat: 3 von 3 Toren

3 Kommentare

  1. Hallo,

    sehr guter Beitrag. Bin zufällig via Google bei Ihnen gelandet. Bin eigentlich auf der Suche nach der Bedeutung der Felder in der unteren linken Ecke auf dem Spielplan. Können Sie mir da weiterhelfen?

    Gruß

    Patrick

    • Hallo Patrick,

      unten links in der Ecke sind die Gebäude, die man mit der Aktion „Hausbau“ errichten kann. Wer diese Karte ausspielt, und Holz oder Stein und ein Geld abgibt, kann dort ein Haus in seiner Farbe bauen (auf ein Feld entsprechend des abgegebenen Rohstoffes). Später kann mit der Aktion „Hauspacht“ dann der über dem Bauplatz abgebildete Ertrag eingenommen werden.

      Ich hoffe, diese Infos sind hilfreich. Viel Spaß mit „Die Tore der Welt“!

      Alles Gute von
      Kathrin.

  2. Hallo Kathrin,

    vielen Dank, irgendwie hatten wir das überlesen und die Häuser immer auf die Häuser auf dem Spielplan gebaut 😀

    Gruß

    Patrick

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