Keltis, Grundspiel und Erweiterung

Erstveröffentlichung am 4.5.2008 bei Hall9000.
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Lost Cities war gestern. Heute ist Keltis. Bis zu vier Spieler sind dabei, wenn es um Kartenauslagen geht. Wer bildet die besten Reihen und erzielt damit beim Weg auf den Steinpfaden die meisten Punkte?

Die Regelübersicht für ein abstraktes Spiel darf wohl abstrakt beginnen. Karten in fünf Farben stehen zur Verfügung. Die Werte reichen von 0 bis 10, wobei jeder Wert zwei Mal vorkommt. Acht Handkarten hat jeder auf der Hand. Für jede der fünf Farben steht ein Steinpfad mit neun Feldern zur Verfügung.

Um auf einem der Steinpfade vorzurücken, spielt man eine Karte der entsprechenden Farbe aus. Reihum bewegen die Spieler ihre Figuren mit je einer Karte und ziehen dann eine Karte nach. Wer auf das Ausspielen verzichten möchte, darf eine Karte abwerfen. Die Karten der nach Farben sortierten Abwurfstapel dürfen statt einer Karte vom Stapel nachgezogen werden.

Doch weshalb sollte man eine Karte abgeben, ohne einen Schritt zu gehen? Nicht immer passen die Karten gut. Dafür sorgen die Anlegeregeln. Mit der zweiten Karte innerhalb einer Farbe entscheidet man sich: Sammelt man ab- oder aufsteigende Kartenwerte? Ist diese Richtung einmal vorgegeben, dürfen sich die angelegten Werte nur entsprechend dieser Sortierung einreihen. Nur Kartenreihen einer Mindestlänge lohnen. Denn wer bis zum Spielende nur drei oder weniger Schritte auf einem Pfad gegangen ist, muss Minuspunkte in Kauf nehmen. Erst ab vier Schritten schwenkt die Bilanz ins Positive um. Bis zu 10 Punkte sind am Ende eines Weges drin. Auf einem der Pfade kann man die Doppler-Figur einsetzen. Für diese zählen – überraschenderweise! – alle Punkte bei der Auswertung doppelt.

Auf den Steinpfaden liegen einige Wegekärtchen. Wer diese erreicht, darf Zusatzschritte auf einem beliebigen Pfad ausführen oder erhält direkt einen bis drei Siegpunkte. Die so genannten Wunschsteine bilden die dritte Art von Wegekärtchen. Diese werden eingesammelt und bei Spielende abgerechnet. Wer keinen oder nur einen Wunschstein besitzt, muss Minuspunkte hinnehmen.

Das Spiel kann auf zwei Arten enden. Das Aufbrauchen des Kartenstapels führt das Ende auf eine Möglichkeit her. Alternativ wird es ausgelöst, wenn insgesamt fünf Figuren mindestens sieben Schritte auf den Pfaden zurückgelegt haben. Bei der Endabrechnung zählen die Punkte von den Pfaden sowie die der Wunschsteine. Natürlich gewinnt der punktstärkste Spieler.

Keltis tritt das Erbe von Lost Cities an. Letzteres ist ein Dauerbrenner in der Reihe der „Spiele für zwei“ von Kosmos und erhielt 2007 sogar ein neues Schachteldesign. Da liegt es nahe, ein Mehrpersonenspiel mit demselben Grundmechanismus zu entwickeln. Dem Vergleich zwischen Keltis und Lost Cities wird weiter unten ein eigener Abschnitt gewidmet.

Zunächst eine kleine Betrachtung von Spielregeln und Material: Auf einem beidseitig beschriebenen Blatt werden die Regeln übersichtlich dargestellt. Einem flotten Einstieg steht somit wenig entgegen. Das Material ist weitgehend klar strukturiert. Die Farben der Steinreihen sind zusätzlich mit Symbolen untermalt. Eine gute Unterscheidbarkeit ist somit gewährleistet. Eine Überschneidung zu den Spielerfarben gibt es nur bei der Farbe Braun.

Um auf einem der fünf Steinpfade Pluspunkte zu erhalten, muss man vier Schritte zurücklegen. Bei acht Handkarten zu Beginn der Partie ist es unwahrscheinlich, direkt vier gleichfarbige Karten vorzufinden. Nach welchen Kriterien entscheidet man sich also für den Start einer Kartenreihe? Man sammelt in einer Reihe entweder aufsteigende oder fallende Werte. Wer etwa mit einer 5 beginnt und zu den niedrigen Werten hin sammelt, wird im folgenden alle Werte zwischen 6 und 10 nicht verwenden können. Naheliegenderweise wird man mit einer Farbe beginnen, von der man möglichst hohe oder niedrige Zahlen besitzt. Man wahrt sich so die Chance, später nachgezogene Karten dieser Farbe verwenden zu können.

Der Spielreiz kommt durch die Spannung auf: Gelingt es, aus den Handkarten das Beste zu machen? Wann legt man eine Karte aus? Lohnt es sich nicht eher, doch noch auf das Nachziehen einer gleichfarbigen Karte zu hoffen? Mit jeder ausgespielten Karte wächst die Zahl der nicht mehr spielbaren Karten. Andererseits muss man in jeder Runde eine Karte ausspielen oder abwerfen. Zu letzterem Mittel sollte man nur selten greifen. Nicht nur, dass man selbst nicht vorankommt. Eine abgeworfene Karte ist überdies eine Chance für einen Mitspieler. Denn der kann ja direkt entscheiden, ob ihm eine Karte nützt – er ist dann nicht auf Glück beim verdeckten Nachziehen angewiesen! Und fast immer passt eine abgeworfene Karte zur Auslage eines Mitspielers.

Doch selbst mit nur wenigen Karten einer Farbe muss man nicht mit Minuspunkten enden. Auf den Steinpfaden kann man per Wegekärtchen Bonus-Schritte sammeln. Mit deren Hilfe wird Pech beim Kartennachschub abgemildert. Dennoch sollte man stets gut überlegen, welche Steinpfade man beginnt. Sich in allen fünf Farben zu engagieren, führt selten zum Spielsieg. Ein Start in vier der fünf Reihen ist jedoch durchaus drin. Dabei kann man sich bei einzelnen Farben auf das Erreichen einiger Wegekärtchen beschränken. Konzentrieren sollte man sich auf das Voranbringen der Doppler-Figur. Diese kann 20 Punkte einbringen, wenn sie das Ende eines Steinpfades erreicht. Das ist ein satter Grundstock oder beinahe schon Voraussetzung für den Spielsieg.

Durchaus überraschend kann das Spielende kommen. Nur wenn viele Karten abgeworfen werden, kommt es zum Aufbrauchen des Kartenstapels. In den weitaus meisten meiner Testrunden zogen fünf Figuren weit genug vor. Das Spielende wird selbst bei vier Personen über diese Bedingung ausgelöst. Zu einer Beschleunigung kann man selbst gelegentlich beitragen. Verzögern kann man es jedenfalls nicht. Ein gutes Gefühl für die verbleibenden Züge zu entwickeln ist unabdingbar. Gerade mit der Doppler-Figur sollte man rechtzeitig losmarschieren …!

Keltis bietet einen leichten Einstieg. Selten dauert eine Runde länger als die angegebenen 30 Minuten. Damit bietet es sich für Gelegenheits- und Familienspieler an. Passende Testspieler haben wir in den Familien unserer wöchentlichen Spielerunde. Dabei kam Keltis durchweg positiv an. Sofortige Wiederholungspartien wurden verlangt. Bei Vielspielern wird es eher für Zwischendurch zum Einsatz kommen. Spiellänge und Glücksanteil stehen selbst für diese anspruchsvollere Klientel in einem akzeptablen Verhältnis. Die Weiterentwicklung des Lost Cities-Konzepts ist damit als gelungen zu bezeichnen.

Vergleich von Keltis und Lost Cities:

Beim Material ist zunächst die Erhöhung der Kartenzahl zu nennen. Bei Lost Cities gab gab es 12 Karten in fünf Farben. Bei Keltis stehen nun 22 Karten zur Verfügung, während die Anzahl der Farben gleich blieb. Somit haben bei vier Spielern mindestens zwei Spieler die Möglichkeit, genügend lange Reihen zu bilden.

Neu ist die Auswahl zwischen auf- oder absteigenden Reihen. Bei Lost Cities musste man stets aufsteigend sammeln. Durch diese Auswahl erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, noch passende Karten nachzuziehen. Ebenfalls gemildert wird Pech beim Kartennachschub durch die Wegekärtchen. Diese erlauben etwa Bonus-Schritte auf den Steinpfaden oder bringen Extra-Siegpunkte. Selbst in vermeintlich schwachen Farben kann sich eine Investition allein durch die Aktivierung der Wegekärtchen lohnen.

Wesentlich vereinfacht wurde die Ermittlung der Siegpunkte. Bei Lost Cities waren die Kartenwerte zu addieren. Hinzu kamen pauschale Minuspunkte für jede begonnene Reihe. Verdoppeln oder sogar weiter vervielfachen konnte man Kartenreihen durch den Einsatz von Wettkarten. Bonuspunkte gab es für Reihen der Mindestlänge 8. All dies fällt bei Keltis weg. Bei jedem Schritt entlang eines Steinpfades ist der Gewinn in Siegpunkten klar ersichtlich. Eine Reihe kann man durch Einsatz der Doppler-Figur aufwerten.

Taktisch hat Lost Cities mehr zu bieten. Insbesondere die Steuerung des Spielendes ist zentrales Element beim Zwei-Personen-Vorgänger. Man kann stets genau berechnen, wie viele Karten man mindestens noch ablegen kann. Entsprechend kann man das Risiko einschätzen, ob ein weiteres Nachziehen in der Hoffnung auf eine ersehnte Karte noch lohnt. Bei Keltis kann das Spielende durch zwei verschiedene Mechanismen ausgelöst werden. Die Anzahl der verbleibenden Spielzüge wird damit unkalkulierbarer.

Abschließend noch ein paar Worte zur Spielbarkeit zu zweit: Bei Keltis werden für diese Besetzung 30 Karten zufällig vom Stapel entfernt. Man weiß also nie, welche Karten tatsächlich mitspielen. Für die Anpassung der Spieldauer ist dies sinnvoll. Auch entstehen dadurch nicht zu lange Kartenreihen. Zu einem gewissen Maß wird es aber auch unberechenbarer und glücksabhängiger. So freue ich mich, zu dritt oder zu viert das Lost Cities-Gefühl bei einer Partie Keltis erleben zu können. Zu zweit jedoch greife ich auch in Zukunft lieber zu Lost Cities.

Kathrin Nos – 4.5.2008

POSTSCRIPTUM:

Keltis

Hin und wieder stellen junge, aufstrebende Schreiberlinge die Frage, ob und wie sie Spielekritiker werden können. Mit Blick auf Berge schlechter Spiele sollte sich eigentlich ein jeder die Frage nach dem „Warum“ oder besser „Warum nicht“ stellen. Der Spaß am Abstauben günstiger Rezensionsexemplare kann und sollte kein Grund sein. Denn selbst der Aufwand für eine recht mäßige Besprechung ist vergleichsweise hoch. Ein schlecht bezahler Minijob zum Finanzieren des Spielehobbies ist sicherlich zeitsparender.

Eine wichtige Voraussetzung für die Berufung in die Gilde der hochnäsigen Spielekritiker ist die Kenntnis des Unterschieds zwischen Rezession, Renezsion und Rezension. Eine Rezension lesen Sie gerade, Renezsion enthält einen Rechtschreibfehler, und Irland befindet sich momentan in einer tiefen Rezession.

Leider wird die Auszeichung von Keltis zum Spiel des Jahres den Iren keinen Weg aus der Krise eröffnen. Zudem zeterte und moserte so ziemlich jeder selbst ernannte Spielexperte über die fehlenden Qualitäten diesr Fingerübung von Reiner Knizia. Nun bin ich nicht willens, in die Klagegesänge der spielenden Massen einzustimmen, die schon seit Jahren den Untergang der Spielekultur heraufziehen sehen: Denn früher war die Bevölkerung klüger, weiser, gebildeter, und überhaupt viel erhabener. An deutschen Küchen- und Wohnzimmertischen wurde des Abends immer nur Tikal, El Grande oder zur Zerstreuung mal ein Carcassonne ausgepackt. Mit Keltis ist der Abstieg Deutschlands in die Niederungen der Spielebanausen besiegelt. Und die Jugend oder der Fußball von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Vielleicht bin ich ein lausiger Kritiker, der die Zeichen der Zeit missdeutet und somit kein geeignetes Vorbild für Jungrezensenten, aber ich spiele Keltis immer noch recht gerne. Erwartungsgemäß produziert Kosmos nun Keltis-Spin-Off-Produkte im Dreiviertel-Takt.

Die unvermeidliche Erweiterung des Grundspiels sticht dabei nicht nur wegen seiner Verpackung in frischem, irischem Wiesengrün hervor. Mit ihr werden viele Kritikpunkte regelmäßiger Spieler am Regelwerk ausgemerzt. Zum Beispiel kreuzen sich nun die Wege der Steine. Dadurch erhöht sich der Einfluss aufs Spielgeschehen enorm. Auch gibt es Jokerfelder, und der Spielplan ist nicht mehr symmetrisch. Die Siegpunktentwicklung ist jetzt auch spannender gestaltet, statt 0,-4,-3,-2,1,2,3,6,7,10 gilt nun 0,-4,-2,0,5,3,6,8,7,6,10. Wer das Spiel beendet, indem er den fünften Stein in die achte Region zieht, verliert also immer einen Punkt.

Es gibt auch eine neue Sorte von Wegeplättchen, die es erlaubt, eine schon gespielte Karte abzuwerfen und so eine kaputte Reihe zu neuem Leben zu erwecken. 1 von 3 Guinness
Prädikat
:
1 von 3 Guinness
Wunschsteine sind nun in 5 Farben erhältlich, die kniziaesk bunt oder gleichfarbig gesammelt werden können.

Durch all diese Änderungen wird eine Partie Keltis nicht nur länger dauern. Sie wird auch taktischer und abwechslungreicher, ohne den Charakter des Spiels groß zu verändern oder es mit unnötigem Schnickschnack aufzublähen. Wäre die Erweiterung gleich als „Variante für Profis“ ein Teil des Originals gewesen, wäre der Spielewelt viel Gejammere erspart geblieben. Auch mir macht Keltis mit ihr noch mehr Spaß.

Peter Nos

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