Neuer Spiele-Journalismus im Internet?

Damit fing es in der zweiten Novemberhälfte 2013 an: Guido Heinecke stellte hier die Frage, ob wir für Spiele einen “New Boardgame Journalism” benötigen. Er zieht eine Analogie zu neuen Strömungen bei Rezensionen über Computerspiele, in denen sich emotionale Erlebnisberichte in die klassischen Besprechungen einmischen. Starres Abarbeiten und Aneinanderreihen von Fakten würde so aufgebrochen. Ein reiner Check der wichtigsten “Benchmarks” wird ersetzt durch eine spannende Schilderung, die den Leser teilhaben lässt, als ob dieser mit am Computer säße.

Diese Diskussion zog weite Kreise und vor allem Reaktionen diverser Blogger und Betreiber von Webseiten nach sich (zentral verlinkt bei Guido) und drehte sich rund um alle im Internet verfügbaren Medien – also außer um reine Textrezensionen insbesondere auch um Videos. Wir haben diese ein paar Wochen lang verfolgt und auf uns wirken lassen – und stellen nun unsere eigenen Thesen auf.

Um sich dem Thema Journalismus im Internetbereich anzunähern gilt es zunächst die Frage zu klären, nach welchen Informationen Menschen im Internet eigentlich suchen. Reine Spiel-unterm-Weihnachtsbaum-Spieler informieren sich meist auf ganz andere Art als Spieler “aus der Szene”. Erstere gehen direkt ins Geschäft und lassen sich dort beraten: “Ich suche ein Spiel wie die Siedler von Catan” – “Na, dann nehmen Sie doch Monopoly, da sind auch Würfel drin.” Vielleicht lassen sie sich auch durch eine Spielevorstellung in Zeitung, Fernsehen oder Radio leiten.

Im Internet läuft – so vermute ich, wenn ich mir eigenes Surfverhalten zum Beispiel in punkto Restaurants oder Hotels in mir unbekannten Städten anschaue – vieles über Bewertungen von anderen Usern ab auf Portalen wie amazon. Suchen über Google führen sicherlich den einen oder anderen auf die in der Szene bekannten Spieleseiten – uns finden zum Beispiel suchende [cref filly-princess-das-spiel]-Spieler, weil wir die einzige Rezi im WWW bereitstellen – doch geht es solchen Menschen wohl eher um das schnelle Benchmarking: Taugt es fürs Verschenken/Kaufen/… oder nicht? Ist New Boardgame Journalism geeignet, um solche Menschen zu informieren und zum Spielen zu motivieren? Vermutlich eher nicht!

Wenden wir uns also für den Rest dieses Postings den Spielern zu, die gezielt nach Artikeln im Spielebereich suchen und allen Beteiligten der “Szene”. Die ältesten Plattformen für Journalismus sind die Printmagazine mit ihren Rezensionen, Reportagen und Rubriken. Die Rückmeldungen der Leserinnen und Leser der Fairplay etwa sind deutlich: Sie wollen vor allem Rezensionen. Gerne unterhaltsam, aber etwas über den Spielablauf, die Spielbarkeit in unterschiedlichen Besetzungen, mögliche Regelfallen (Druckfehler, mögliche Missverständnisse, etc.) und ähnliches sollen aber bitteschön ebenfalls enthalten sein. Im Grunde gilt also unsere These Nummer Eins:

Die Brettspielszene ist konservativ!

Ein Mindestmaß an Information soll also gefälligst sein, und das möglichst schnell. Ersterem tragen wir bei Das-SpielEn.de Rechnung, indem wir pflichtschuldigst zu Luding und Boardgamegeek verlinken. Wem Stammdaten oder genauere Regelnacherzählungen bei uns fehlen, findet hoffentlich dort die gewünschten Informationen. In punkto Aktualität sind wir mit gelegentlichen Berichten zu Eindrücken gerne mal dabei, jedoch wählen wir die von uns besprochenen Spiele nicht nach zu erwartenden Klickzahlen aus – lieber berichten wir auch mal über weniger beachtete Spiele.

Konservativ muten Forderungen von langjährigen Internetjournalisten an, die all den schreibenden Spielerinnen und Spielern ohne journalistische Ausbildung die Fähigkeit zum Schreiben aberkennen: “Denn wie soll jemand die Qualität eines Textes beurteilen, der selbst nicht eine Ausbildung als Journalist hat?”. In Deutschland ist die Berufsbezeichnung “Journalist” in Deutschland gar nicht geschützt. Also sind wir beide – Kathrin und Peter – sowie Brian und all die anderen Brians nicht nur Individualisten, sondern auch Journalisten. Dabei gilt: Witzig, emotional, mitreißend sein können auch Leute, die keine Journalisten sind. Packende Berichte von eigenen Spielerlebnissen zu schreiben erfordert nicht einmal eine langjährige Beschäftigung mit Spielehistorie – wer gut erzählen kann, kann es schaffen, seine Leser ad hoc zu begeistern. Es gilt also These Nummer zwei:

Schreiben kann jeder.

Ob es auch jeder lesen will, entscheiden die Clicks. Online entstehen nur dem Seitenbetreiber Kosten, denn welcher Leser zahlt schon für ein Online-Angebot? Unsere Kosten belaufen sich übrigens auf wenige Euros im Monat für ein Web-Paket inklusive Datenbank, da wir unsere WordPress-Installation auf eigenem Webspace laufen lassen wollen. Die hineingesteckte Zeit ist Hobby, zählt also quasi nicht.

Angebote für direkte Interaktion von Spielern mit Spielern bieten sich bei alteingesessenen Anbietern wie spielbox-online mit dem dortigen Forum oder H@LL9000 mit der Möglichkeit, Spiele nicht nur zu benoten sondern auch zu kommentieren. Mehr und mehr findet ein solcher Austausch auch in sozialen Medien wie Facebook und Konsorten statt. Die hierher verlagerten Diskussionen bekommt nur mit, wer in entsprechenden Netzwerken bereits Mitglied ist.

Wer auf diese oder eine andere Weise tiefer in die Spieleszene eintaucht, sucht sich oft weitere Betätigungsfelder, die über das Spielen hinausgehen. Das können die Organisation von Spielekreisen sein, die Teilnahme an Turnieren, die Kontaktaufnahme zu Verlagen oder Autoren, um etwa beim Testen von Prototypen die Entstehung eines Spiels mitzuerleben, vielleicht als nächster Schritt der Versuch, selbst ein Spiel zu entwickeln.
Ein Teil der Spieler wird sich dafür entscheiden, schreibend tätig zu werden. Nichts leichter als das, denn als Experte fühlt man sich längst und liebt es, den eigenen Senf von sich zu geben.

In der Spieleszene gibt es viele Selbstdarsteller.

Durch Blog-Plattformen wie blogger.com oder WordPress.com ist es zudem kinderleicht, eine eigene Präsenz aufzubauen und sich selbst zu verwirklichen. Es entsteht ein reicher Mikrokosmos an unterschiedlichen Ansätzen, die sich als mehr oder weniger langlebig erweisen. Sei es, weil ein Konzept einfach keine Leser findet oder dem neuen Blogger die Zeit, Motivation oder was auch immer schwindet.

Im Sinne des geforderten New Boardgame Journalism sollte die heterogene und im ständigen Wandel stehende Medienlandschaft eine wünschenswerte Entwicklung sein, denn wo viel ausprobiert wird, entstehen neue Trends, ist der Nährboden für Experimente bereitet. Neue Ideen entstehen auch außerhalb klassischer Reportagen, Interviews und Hintergrundberichte.

Die großen, alteingesessenen Rezensionsseiten sind für solche Experimenten kaum brauchbar. Zu sehr setzen sie auf bewährte Konzepte und sind vollständig im Tagesgeschäft zwischen Messebericht und Spielekritik eingezwängt. Ihr wichtiger Beitrag zur Spieleszene ist weiterhin die spielerische Grundversorgung: die kritische Würdigung des aktuellen Spielejahrgangs. Sie haben auch oft die besseren Kontakte zu Verlagen und Autoren, bekommen mehr Rezensionsmuster. Kleinere Blogger können dagegen über Abseitiges berichten, Trends aufspüren oder selber setzen, Minderheitenmeinungen vertreten oder über Spiele berichten, die (noch) niemanden interessieren. Die Blogosphäre beeinflusst damit schon wesentlich den Spielemarkt der nächsten Jahre.

Wir merkten dies extrem während Kathrins Juryjahren: Noch nicht in Deutschland erhältliche Spiele mussten wir fast vollständig ignorieren und die Masse der Rezensionsexemplare hinterließ entweder ein schlechtes Gewissen oder keinen Platz über Spiele jenseits des Mainstream zu schreiben.

Die Struktur typischer Spielerezensionen hat sich während der letzten 10 Jahre massiv gewandelt. Kathrin erstellte für H@LL9000 einmal einen Rezensentenleitfaden, der als Formulierungshilfe gute Dienste leistete: Ist die Spielbeschreibung nicht zu lang; gibt es etwas über das Material oder die Anleitung zu berichten usw.? Damals war diese Checkliste notwendig, um Kritiken überhaupt lesenswert zu machen. Heute weckt eine Anmerkung, dass eine Anleitung auch für Farbenblinde lesbar sei, kaum noch Aufmerksamkeit bei Lesern. Die Anforderungen an lesenswerte Texte ist eben gewachsen. Langlebige Internetseiten bleiben gewöhnlich bei einer einmal bewährten Struktur. Jungen Bloggern mit neuen Ideen fällt es leichter sprachliche und technische Innovationen auszuprobieren.

Rezensionsdinosaurier beackern Pflichtspiele, Blogger schreiben die Kür.

Freilich ist es unerlässlich, einen langen Atem zu besitzen, einen eigenen Stil zu entwickeln und zu etablieren. Die schönste Belohnung sind Rückmeldungen – die Währung der Leser im Internet.

Das ist allerdings auch ein zweischneidiges Schwert. Denn wer sich als gleichberechtigt ansieht, teilt gerne Kritik aus, ist aber sparsamer mit der Akzeptanz derselben. Spieler üben dabei eine überraschende Direktheit.

Viele Spieler meinen genau zu wissen, wie man Spiel xy spielen muss, welche Strategien zum Sieg führen oder zum Scheitern verurteilt sind, an welchen Autoren/Verlagen/… keine Kritik geübt werden darf oder gar unbedingt zu üben ist, wie eine Umfrage auf der Spielemesse funktionieren muss, und vieles mehr. Manche Rezensenten wollen oft das einzige funktionierende Rezept für die Erstellung von Kritiken wissen, der eine oder andere Autor tut seine Kritiker schnell ab mit “hat das falsch gespielt/nicht verstanden/…”, und dann gibt es noch Verlagsvertreter, die keine Kritik zulassen mit Argumenten wie “in der Zielgruppe der philosophierenden Kindergärtnerinnen/pantomimischen Reiter/würfelnden Astronauten/schachspielenden Boxer/… funktioniert das Spiel aber bestens, man muss es eben nur mit den richtigen Leuten spielen”. Das führt dazu, dass sich Rezensenten gelegentlich verleiten lassen, sich möglichst keiner Kritik auszusetzen, indem sie etwa nur Schmuserezis verfassen (siehe [cref rezi-deutsch]) oder sich lieber einer großen Plattform anschließen, bei der kritisches Feedback über die Chefredaktion gefiltert wird.

In der Spieleszene sind erschreckend viele Personen nicht kritikfähig.

Wir sind seit 2006 bei der Fairplay aktiv. In der Spieleszene haben wir manchmal das Gefühl, uns im asterixinischen Korsika zu befinden (ihr wisst schon, als der Cousin der Schwägerin der Großmutter vor vielen Jahren den Onkel der Großtante zweiten Grades … vielleicht war noch irgendwo ein Esel im Spiel, man weiß es nicht mehr so genau, aber es war jedenfalls eine sehr ernstzunehmende Angelegenheit!), wenn wir mal wieder angesprochen werden, was irgendwer von Fairplay vor zwanzig Jahren mal zu einer bedeutenden Persönlichkeit der Spieleszene gesagt oder sich auf welcher Veranstaltung provokant daneben benommen habe.

Bei Das-SpielEn.de haben wir auch schon Rückmeldungen durch Verlage gehabt, die mit unseren Kritiken nicht einverstanden waren. Manchmal ergab sich aus so einer Kontaktaufnahme ein konstruktiver Austausch, aber eben nicht immer. Der Mut Kritik zu üben gehört aber unseres Erachtens zur notwendigen Unabhängigkeit von Berichterstattern.

Der Spielejournalismus im Internet ist click-lebendig. Während Gesellschaftsspiele in Printmedien nur noch selten Erwähnung finden und von Berichten über Computerspiele immer mehr verdrängt werden, bietet das Internet einfache Möglichkeiten von Fans für Fans zu schreiben. So neu ist “New Boardgame Journalism” deshalb gar nicht mehr. Notwendig ist es aber, die Schreiber zu ermutigen weiterzumachen, weiter mehr Experimente zu wagen und ihre Medien stärker als eigenständige Formen des Spielejournalismus anzuerkennen.

3 Kommentare

  1. Hallo Kathrin,hallo Peter !
    Ich profitiere sehr von euren Rezis , denn es erschliessen sich mir so interssante Kriterien zur Beurteilung eines Spieles. Ihr schreibt mit Humor und Wortwitz,was das Lesen ( hier oder auch geprintet ! ) selbst zum Vergnügen werden lässt ! Und überhaupt ist das Lesen über den Vorgang “ spielen “ für mich eine tolle Ergänzung zum “ Erlebnis zu spielen “ . Bitte weiter so !!
    Herzliche Grüße !
    Lena.

  2. Toller Artikel. Vieles entspricht meiner Meinung und ich habe mich sehr gut wiedergefunden.

  3. Ihr habt das Thema sehr gut aufbereitet. Als jahrelanger Spieler stolpere ich gerade vorsichtig etwas tiefer in die Szene. Ich glaube, ihr habt die Lage sehr gut erfasst 🙂 Ich finde bemerkenswert, wie erfrischend unprofessionell und persönlich die Brettspiel-Szene wirkt, obwohl sie doch eine beachtliche Marktmacht hat. Obwohl es immer wieder versucht wird, kann man Spiele (zum Glück) nur sehr schwer industriell erfinden – meist spielt sie dann auch kaum einer mehr. Dieser Umstand und die Leidenschaft von Journalisten wie euch macht den Charme dieser Szene aus. Danke.

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