Erstveröffentlichung im April 2009 in der Fairplay 87.
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Exponat der Moderne

Bei vielen Spielen ist auf den ersten Blick klar, worum es geht. Die Zielsetzung lässt sich über das Cover klar definieren: Handelt es sich um ein Spiel im Mittelalter, in der Gegenwart oder in der Zukunft? Welcher historische oder fiktive Schauplatz erwartet die Spieler? Wird es eher witzig oder strategisch? Der Blick auf die Schachtel schürt meist die Erwartungen.

Die Spielemesse 2008 in Essen erschien wie eine Ausstellung von lauter Spielen mit solch klarer Vorgabe und Thematik. PROFESSOR PÜNSCHGE passt so gar nicht in diesen Trend. Die Spieleschachtel wird von der Grafik eines etwas konfus aussehenden Mannes vor einem sternenübersäten Nachthimmel geziert. Er zieht einen Bollerwagen mit einigen abstrusen Gegenständen hinter sich her. Auch der Titel hebt sich ab, wenn auch eher verwirrend. Etliche Verballhornungen habe ich schon gehört: PROFESSOR PLÜNSCHKE, PINSCHKE, PLÜTSCHGE, plitsch, platsch, plutsch, …

Was für ein Spiel verbirgt sich dahinter? Das Cover verrät es jedenfalls nicht! Nach dem Öffnen der Schachtel ist keine Rede mehr vom Nachthimmel. Eine Landschaft breitet sich vor den Spielern aus. Sie besteht aus Wiesen, Wald, Seen und Gebirge. Durch die Landschaft führt ein Weg mit 26 Feldern. Die Felder des Weges enthalten verschiedene Informationen: Jedes Feld zeigt jeweils eine Farbe und eine Form und enthält eines, zwei oder drei Symbole. Genau einer Landschaftsform als Untergrund ist es zugeordnet. Das allein sind bereits vier Merkmale. Außerdem sind die Felder durchnummeriert und in geraden Strecken mit genau definierten Ecken angeordnet.
Diesen Weg möchte der Professor beschreiten. Seine Skulptur mit Wuschelkopf und Ziegenbärtchen macht gleich einen sympathischen Eindruck. Doch Vorsicht! Dieses freundliche Kerlchen täuscht darüber hinweg, dass im Spiel Logik und harte Denkarbeit gefordert sind.

Ein Spieler übernimmt die Rolle des Professors, der sich jedes Mal – ganz entrückter Wissenschaftler – seinen Weg über den Plan nach anderen Kriterien aussucht. Nur dieser Spieler kennt zu Beginn den Weg, auf dem sich der Professor in dieser Runde über den Spielplan nach Hause bewegen wird. Auf Spielkarten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade sind Regeln für den Weg angegeben. Eine ganz einfache Regel wäre „über alle Felder, welche die Form eines Sterns haben“ oder „alle Felder mit einer Eule darauf“. Schwierigere Aufgaben verknüpfen zwei solcher Regeln oder schließen bestimmte Felder aus. Sie könnten etwa lauten: „Alle weißen Felder, aber keine im Gebirge“. Auch spezielle Muster à la „zwei Felder werden betreten, die nächsten drei nicht, dann wieder die nächsten zwei und so weiter“ sind möglich. Oder es findet eine Spielerei mit den Zahlen statt, beispielsweise „alle Felder mit Primzahlen“.

Aufgabe der anderen Spieler ist es, diese Regel zu erschließen und die Figur des Professors über die erlaubten Felder ins Ziel zu ziehen. Als einzige Informationen stehen ihnen hierfür die ersten beiden gültigen Felder zur Verfügung. So beginnt der Professor seine Reise – findet heraus, wie es weitergeht!
In der kooperativen Variante diskutieren die Spieler, wie sie den Professor weiterziehen. Reihum sind die Spieler am Zug und setzen die gemeinsamen Überlegungen in die Tat um. Die Spieler können alternativ auch kompetitiv spielen. Jeder punktet für sich. Die Spieler ziehen weiterhin reihum, erörtern aber zwischendurch nicht die verschiedenen Optionen; sie können sich jedoch gegenseitig Hilfe anbieten. Das geschieht freilich nicht ganz uneigennützig, denn im Erfolgsfall werden die erzielten Punkte geteilt. In dieser Rezension liegt der Schwerpunkt auf der kooperativen Variante. Denn in der Mehrzahl meiner Runden fühlten sich die Spieler besser aufgehoben, wenn alle gemeinsam knobeln.

Die Überlegungen der Spieler könnten zum Beispiel folgenden Verlauf nehmen: Auf den beiden richtigen Feldern ist ein Stier abgebildet, auf den bis dahin unbenutzten nicht. Hat es mit Stieren zu tun? Vielleicht einfach mal das nächste Feld mit Stier versuchen? „Mööööp!“ ertönt es da unwirsch vom Spieler, der den Professor vertritt. Was will uns der Professor damit sagen? Der Spieler liegt schlicht auf dem Holzweg und hat ein falsches Feld betreten. Der nächste Spieler darf sein Glück versuchen. Nach erneuter Diskussion erfolgt der nächste Versuch mit einem anderen Feld. Womöglich äußert der Spieler des Professors nun ein sympathisches „Brumm Brumm!“. Richtig kombiniert, hier geht es weiter. Solange dieser Spieler nur richtige Felder betritt, ist er weiter am Zug.

Nach Betrachtung des Spielplans und der Signalgebung wird schnell klar, dass PROFESSOR PÜNSCHGE mehr sein möchte als ein rein abstraktes Spiel. Doch mit welchem Ergebnis? Unterschiedliche Stilelemente werden in unerwarteter Weise kombiniert. Wie bei einem modernen Kunstwerk müssen die Spieler diese ungewöhnliche Zusammensetzung erst einmal auf sich wirken lassen. Grafik, Ausstattung und Lautmalerei sind richtige Hingucker und Reinholer für die thematisch orientierten Spieler. Da gesellt sich auch jemand dazu, der sonst bei den Begriffen „abstrakt“ oder „logisch“ abschalten würde. Die Nagelprobe erfolgt beim zweiten Blick. Wenn das Spiel beginnt, wird schließlich der auf Logik basierende Mechanismus sichtbar und entfaltet seine Wirkung.
Für jedes „Mööööp!“ kassiert der allwissende Professorenspieler einen Siegpunkt. Zwischen vier und elf Siegpunkten hat er zu Beginn herausgelegt. Sackt er den letzten davon ein, muss er einen Hinweis auf der Lösungskarte vorlesen. Dieser gibt Anhaltspunkte, nach welchen Merkmalen zu suchen ist. Erraten die ratenden Spieler jetzt direkt den richtigen Weg, erhält jeder von ihnen noch zwei Punkte. Erreichen sie vor der Bekanntgabe des Hinweises das Haus des Professors, winken ihnen fünf Punkte. Hilft der Hinweis nicht schnell genug zur Lösung, so gehen die Spieler ganz leer aus. Der Spieler des Professors wettet also sozusagen. Wie viele Versuche werden die Spieler wohl brauchen? Liegt er mit seiner Schätzung zu hoch, können die Spieler die hohe Punktzahl von fünf erzielen. Andererseits zögert der Professor mit einem hohen Gebot die Bekanntgabe des Hinweises hinaus und hat selbst eine höhere Chance auf viele Punkte. Denn setzt er zu wenige Züge an, hilft der Hinweis den Spielern vielleicht, und der Punktehahn für den Professor wird zu schnell zugedreht.

Diese Punktewertung verlangt den Spielern einiges Verständnis ab. Sie erfordert besonders in der ersten Partie eine ausführliche Erklärung oder aber die Bereitschaft, aus dem Bauch zu spielen und sich somit auf das Spiel einzulassen. Weiter oben begann der Vergleich zur Modernen Kunst. An dieser Stelle ergibt sich eine weitere Parallele. Denn wer kennt nicht die Situation: Ein Betrachter schüttelt sofort mit dem Kopf und wendet sich ab, während ein anderer fasziniert vor dem Kunstwerk steht und sich gar nicht satt sehen kann. Entsprechend gehen bei PROFESSOR PÜNSCHGE die Geschmäcker auseinander. Knobelfreunde sind fasziniert von diesem Spiel, das sich bewusst von elektronischer Unterstützung lossagt und mit dem kauzigen Professor noch ein lustiges Flair schafft. Manch anderem liegen diese Knobelei und das logische Kombinieren nicht. Solche Spieler halten sich weitgehend heraus und erwarten nur noch das Spielende. Die Altersangabe ab 12 Jahren passt zu den Anforderungen. Sie steht aber im Kontrast zur Grafik, die durchaus auf ein Kinderspiel schließen ließe.

Bei der Suche nach dem richtigen Weg kristallisieren sich bald bestimmte Ansätze heraus. Hilfreich ist es, wenn die Spieler den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe kennen. So wissen sie etwa, ob das Vorkommen von zwei Bedingungen überhaupt möglich ist, oder welcher Art die Aufgaben generell sein können. Ohne diese Information kann selbst eine leichte Aufgabe richtig knifflig werden, weil alle möglicherweise viel zu sehr um die Ecke denken. Doch meist werden erst einmal nahe liegende Überlegungen verfolgt. Für den Spieler des Professors kann es richtig interessant werden, den Diskussionen der Spieler zu lauschen. Gerechterweise darf jeder einmal die Rolle des Professors übernehmen, danach ist das Spiel vorbei.

Die Siegpunkterträge für die Spieler liegen in der kooperativen Variante immer bei fünf, zwei oder null Punkten. Die echte Chance zum Punkten hat damit ein Spieler vor allem als Professor, denn in dieser Rolle ist gar eine zweistellige Punktezahl möglich. An dieser Stelle hakt die Regel ein wenig. Denn sie besagt, dass eine Aufgabe selbst nach erfolgtem Hinweis zu Ende gespielt wird. Bei jedem Fehlversuch erhöht sich das Punktekonto des Professors. Die verbleibende Motivation der Spieler beschränkt sich darauf, dem Professor keine weiteren Punkte zuzuschanzen. Viel Spaß macht das nicht mehr. Kommt es so weit, so zischt der Spieler des Professors oft genug wie eine Rakete an die Spitze des Feldes und wird nach Punkten nur noch schwer einholbar sein. Eine Portion Glück ist im Boot: Haben die Spieler eine gute Idee? Sind die aktuellen Aufgaben – drei stehen pro Karte zur freien Auswahl – eher schwer oder einigermaßen leicht? Letzteres kann relativ sein. Gab es kurz zuvor eine Aufgabe, die nach demselben Schema aufgebaut war? Dann wird es den Spielern eher leicht fallen, das Muster zu deuten.

PROFESSOR PÜNSCHGE ist ein Beispiel für moderne Spielekunst. Solche (Bei-)Spiele sind nur zu rar gesät. Es ist zwar nicht der erste oder gar einzige Spieletitel, der sich in die Moderne hinauswagt. Doch leider sind solche Vorstöße beinahe erschreckend selten geworden. Daher fällt dieses Spiel auf und ragt aus der Masse der aktuellen Essener Neuheiten heraus. Moderne Kunst muss nicht jedem gefallen. Eine generelle Empfehlung für dieses Spiel zu geben, wäre daher irreführend. Ein Plädoyer für mehr Wagnis führe ich dennoch. „Brumm Brumm!“ die Richtung stimmt. Bitte mehr davon!

Kathrin Nos

POSTSCRIPTUM:

Bild von Professor Pünschge

Zu Kathrins Text gibt es wenig hinzuzufügen. Ich wiederhole einfach mal ihre letzte These mit eigenen Worten: Spiele wie Professor Pünschge zeigen, welches Potenzial und welche Innovationen mit Gesellschaftsspielen noch möglich sind. Es ist kein Spiel für jeden, nicht für alle Tage und eine durchaus anstrengende Beschäftigung. Zusammen mit Spielen wie Dixit liesse sich beinahe eine Tendenz hin zum schöngeistigen Gesellschaftsspiel ausrufen. Sie passen nicht in die bekannten Kategorien der Quiz-, Glücks-, Kinder-, Familien- und Strategiespiele. Hoffentlich bleiben sie nicht nur eine avantgardistische Randerscheinung.

Peter Nos

Schöngeist
Prädikat: Schöngeist

Bild von 2 von 3 Routen
Prädikat: 2 von 3 Routen

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