Leise rieselt der Schnee … Zeit für eine Weihnachtsrezension, Zeit für ein besonderes Spiel. Begeben wir uns also in ein Land mit Schnee und Eis, mit dicken Pelzmützen und zugefrorenen Seen: Nach Russland!

Normalerweise gilt für ein Spiel vor einer Rezension: Advent, Advent, ein Spiellein kennst, erst eine Partie, dann zwei, dann drei, dann vier, oft auch fünf oder mehr, dann steht die Rezi vor der Tür. Russian Railroads ist anders. Selbst nach mehr als fünf Partien, die in unterschiedlichen Besetzungen zu zweit, zu dritt, zu viert stattfanden, kann ich keine Strategie-Empfehlung abgeben. Wer der Meinung ist, ich dürfe dann keine Rezension verfassen, klickt bitte schnell weiter. Zum Beispiel hierher (happy 10th anniversary!).

Wer sich am Schienenbau von Moskau nach Sibirien, Petersburg und Kiev beteiligt, setzt seine Arbeiter reihum auf die Aktionsfelder. Diese erlauben den Bau neuer Loks, den Ausbau der Gleise in bis zu fünf Qualitätsstufen, die Investition in neue Industrien, das Anheuern von Ingenieuren und das Gerangel um die Spielreihenfolge. Spielmaterial und -regel ermöglichen einen glatten Einstieg für Spielekenner. Über sieben (zu viert) oder sechs (zu dritt und zu zweit) Runden hinweg gilt es, viele Siegpunkte zu sammeln. Diese werden jeweils am Rundenende ausgeschüttet. Gelegenheitsspieler können sicherlich – sorgsam durch fürsorgliche Erklärbären an die Hand genommen – mit ins Reich von Väterchen Frost reisen.

Bild von Russian Railroads

Doch ein erfahrener Eisenbahnbauer wird die Siegpunkte mit seinem besseren Näschen zielsicherer erwittern. Ein sehr moderater Glücksfaktor gelangt über die Auslosung der Ingenieure und der Spielende-Punktekarten für die aktuelle Partie ins Spiel. Mehr Glück ist im Spiel, wenn Personen mit sehr unterschiedlicher Spielstärke Vorlagen liefern oder nutzen. Das ist ein Phänomen, das mir leider beim von mir heiß geliebten Puerto Rico zuletzt ein wenig den Spielspaß verdarb – wenn sich unerfahrene Spieler interessiert dazugesellen (an sich löblich!) und dann Steilvorlagen und Zufallsentscheidungen produzieren, ohne sich über deren Auswirkung im klaren zu sein (seufz!).

Russian Railroads besticht durch seine Ausgewogenheit. Wer in Gleise investiert, rümpft vielleicht die Nase über die braunen Schienen. Wer die schwarzen Schienen quasi als Pioniere voranschickt, darf diese später zu grauen und dann zu braunen Schienen aufwerten. Richtig lukrativ werden aber erst die dann folgenden beigefarbenen und erst recht die dicke weiße Schiene. Je weiter eine Schiene vorankommt und je höher ihr Ausbaugrad ist, desto mehr Punkte winken am Rundenende. Ein dicker weißer Schienenabschnitt, an dem gar noch ein Verdoppler liegt, bringt 20 Punkte ein. Da wirkt der eine Punkt für einen grauen Abschnitt (ohne Verdoppler) mickrig – auch wenn ein früh gebautes graues Gleis eben in Summe auch sechs Punkte wert sein kann, wenn es ebenso viele Runden lang aktiv ist. Und selbst die braunen bringen nur zwei Punkte pro Abschnitt ein. Lohnt sich gar nicht? Doch, denn wer die braune Schiene Richtung Sibirien bis zum dritten Abschnitt ausbaut, aktiviert einen zusätzlichen Arbeiter. Und bei der Aussicht auf mehr „Worker“ fürs gleichnamige „Placement“ läuft dem gewieften Einsetzspieler der Speichel zusammen wie dem Pawlowschen Hund. Und plötzlich ist da auch schon Platz für Schienen in beige und weiß – hechel!

Eine wahre Philosphie mag sich entspannen über der Frage, ob man lieber die Transsibirien-Strecke für hochwertige Gleise bauen soll oder lieber nach Petersburg zur Aktivierung des streckenweiten Verdopplers oder doch nach Kiev mit seinen bis zu 20 Punkten für schwarze Gleise und der Extra-Kiev-Medaille für weitere 20 Extrapunkte für graue Gleise aufbricht. Doch halt, man sollte niemals die Industrien vernachlässigen. Hier sind tolle Extra-Aktionen und Punkte drin. Oder … oder … (hier entsteht eine neue Strategiediskussionspräsenz – Work in progress!).

Bei Russian Railroads habe ich immer wieder das Gefühl, überhaupt erst an der Oberfläche gekratzt zu haben. Das nächste Mal könnte ich doch auf Petersburg spielen. Oder versuchen den schwarzen Extra-Arbeiter früh im Spiel zu erhalten. Oder viele Ingenieure zu sammeln und sie via Industrien in viele Punkte umzusetzen (mit den Industrien auf der Rückseite der 1er-Loks). Oder einfach in der nächsten Partie eine ganz andere Strategie zu finden als die Mitspieler und so gegenläufig zu allen anderen möglichst ungestört die eigenen Siegpunkte scheffeln. So viel zu tun, so viel zu erleben. Nix von wegen stiller Nacht – mein Spielerherz brennt lichterloh vor Begierde auf weitere Partien.

Bild von 2 von 3 Russen
Prädikat
: 2 von 3 Russen – ohne Abstimmung, mit Akklamation

2 Kommentare

  1. Avatar-Foto Hans Christiansen

    Russian Railroads – für mich das beste Worker Placement Spiel des Jahres – komplex, aber nicht kompliziert – nicht nur für „Vielspieler“ – kann mich nicht erinnern je eine bessere Spielanleitung in den Händen gehabt zu haben – auch gut zu zweit – bin begeistert !!!

  2. Grade die zweite Partie gespielt, Timing der Rezension passt also. Wirklich ein Superspiel. Frohes Fest und schönen Silvesterabend allerseits!

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