Erstveröffentlichung im März 2010 in der Fairplay 91.
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Frank S. aus M. fragt: „Liebe Fairplay, als angehender ÖPNV-Spielsammler stehe ich vor der Wahl, METRO oder SAN FRANCISCO CABLE CAR zu kaufen. Welches Spiel würden Sie mir empfehlen?“
Fairplay antwortet:
Lieber Herr Frank S,
wahrscheinlich hindert Sie Platz- oder Geldmangel, einfach beide Spiele unbesehen zu erwerben. In eine vollständige ÖPNV-Spielsammlung gehören neben LINIE 1, ON THE UNDERGROUND, PARIS PARIS, BIG CITY und BUS zweifellos auch diese beiden Perlen. In einer etwas weiter gefassten Sammlung sollte sich aber auch das Ursprungsspiel IRON HORSE befinden. Wie auch viele ältere Spiele von Queen-Games ist METRO vergleichsweise günstig zu erhalten. Auch benötigt METRO nur halb so viel Platz und wiegt ziemlich genau die Hälfte von SAN FRANCISCO CABLE CAR.
Dafür enthält SAN FRANCISCO CABLE CAR gleich ein zweites Spiel und noch hochwertigeres Spielmaterial. Die Plättchen sind doppelt so dick und deutlich größer. Persönlich sagt mir die schwermütige, aber auch stimmungsvolle Schachtelgrafik von METRO mehr zu als die gefällignaive Zeichnung der Neuauflage. Das Design des Spielplans von METRO erscheint im Vergleich mit CABLE CAR hingegen etwas hausbacken, die Schlichtheit ist aber übersichtlicher und erlaubt ein zügigeres Spiel. Um nur die Grundregeln zu spielen, bietet METRO also das bessere Preis-Leistungsverhältnis. Doch die Neuauflage bietet eben auch noch eine neue Variante, deren Spielgefühl sich so radikal von METRO unterscheidet, dass Reiner Knizia versucht gewesen wäre, es als komplett neue Schöpfung zu verkaufen.
Im Grundspiel gewinnt bekanntlich die U- oder Straßenbahnlinie mit dem größten Schienennetz. Wer am Zug ist, legt ein Plättchen, das je vier Ein- und Ausgänge hat. Am Spielfeldrand stehen zunächst 32 Waggons zur Markierung der Startfelder. Diese wechseln sich mit ebenso vielen Zielpunkten ab. Sobald ein Waggon ein Ziel erreicht hat, gibt es pro überschrittenem Ausgang einen Punkt. Der besondere Clou dieses Spiels ist sein destruktives Potenzial. Es kommt nicht darauf an, persönliche Strecken zu verlängern, sondern alle anderen Strecken möglichst schnell zu beenden. Quasi nebenbei gilt es die eigenen Linien zu schützen, ihr Potenzial zu wahren und durch Nutzung von Schleifen vielleicht sogar geschickt zu verlängern. Durch diese rasend schnelle Reduktion der Zugmöglichkeiten bekommt das Spiel eine angenehme Kürze. Zum fiesen Charakter passt eben auch das düstere Untergrundambiente.Wer sich mit diesen Erfahrungen gerüstet an die neuen Regeln wagt, wird prompt von den Mitspielern an die Wand gefahren. Nun gibt es nur noch Aktienanteile an den acht Gesellschaften. Unabhängig von der Spielerzahl gibt es deren immer acht, und jeder Spieler erhält je einen Anteil von 10%, 20%, 30% und 40% an Gesellschaften geheim zugelost. Wer will, darf während der ersten Spielhälfte Anteile tauschen. Am Ende zählt nur noch die Platzierungsreihenfolge der Gesellschaften. Die Gesellschaft mit dem größten Netz zahlt 8 Punkte je 10%-Anteil aus, die zweitgrößte 7 und so weiter. Damit lohnt es nicht mehr, eine Gesellschaft über alle Maße zu „pushen“ oder alle anderen Gesellschaften abzuwürgen. Irgendeine wird immer Zweite. Wenn einzelne Gesellschaften frühzeitig auch komplett versagen, können die Anteilseigner noch problemlos auf lukrativere umsteigen. Kooperation und winzige Vorsprünge sind nun ertragreicher als destruktives Beenden gegnerischer Linien. Schließlich gibt es keine offensichtlichen Gegner mehr. Zu diesem Flair passt die weichgezeichnete Schönwettergrafik von Michael Menzel wunderbar.
Damit überrascht Dirk Henn mit SAN FRANCISCO CABLE CAR ein weiteres Mal: METRO sah wie ein herkömmliches konstruktives Legespiel aus, entpuppte sich aber knallharter Schlagabtausch. Die Regeln von SAN FRANCISCO CABLE CAR klingen nach brutalst-möglichem Kapitalismus und zwingen dann zur Zusammenarbeit.
Die Neuauflage bietet damit doppelt soviel Abwechslung. Wenn Sie also wider Erwarten genügend Geld und Platz haben, so ist der Griff zum neuen Spiel empfehlenswert.
Karl-Peter Nos
Metro kauften wir seinerzeit in Hannover, als wir die Expo 2000 besuchten und vor dem günstigen Abendtarif am ersten Tag noch ein wenig Zeit hatten. Denn nachdem wir einige Male an Bahnhöfen mitbekamen, wie leer die Sonderzüge zur Expo fuhren, und schließlich die Tickets im Preis purzelten, erkannten wir: Jetzt oder nie. So erlebten wir die Hauptattraktionen fast ohne Warteschlangen. Als besondere Veranstaltung haben wir auch die Open Air Vorführung von Charlie Chaplin’s Modern Times empfunden – mit Live-Musikbegleitung durch ein Sinfonieorchester. Spiele haben eben viel mit Emotionen zu tun – und manche Spiele verbindet man mit ganz außerspielerischen Dingen.
Metro kann ein unfaires Spiel sein. Nach wenigen Plättchen führen schon mehrere Linien zurück in die Stationen. Hier stellt San Francisco Cable Car mit seiner Aktienvariante eine reizvolle Alternative dar.
Prädikat:
1 von 3 Straßenbahnen
Freilich erkennt man auch hier durchaus, wer wohl welche Schwerpunkte setzt. Doch es können mehrere Spieler dieselben Interessen haben und so eine Linie voranbringen. Letztlich könnte man die Entscheidung, welche der beiden Varianten gespielt wird, auch von der Spielerzahl abhängig machen. Zu zweit spielen die Kontrahenten sowieso direkt gegeneinander. Daher bevorzuge ich in dieser Konstellation das Ur-Metro. Die Aktienvariante hingegen wird durch die Koalitionen verschiedener Spieler in größerer Runde interessanter.
Kathrin Nos