Erstveröffentlichung im Oktober 2009 in der Fairplay 89.
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Eine sehr wahre Reportage

Wieder einmal scheute die Redaktion der Fairplay weder Kosten noch Mühen, um Ihnen brühwarm die neuesten Spieleinformationen zu liefern. Nur dank Ihrer unermüdlichen Abo-Beiträge konnte ein Reporter an einer First-Class-VIP Alaska-Schlittenexpedition teilnehmen, von der wir live berichten.

Sie werden es kaum glauben, doch neben mir steht wahrhaftig der unglaubliche, von uns allen verehrte Joe. Joe hat sich bereit erklärt, die Leser der Fairplay in die Geheimnisse des kartenbetriebenen Hundeschlittenrennsports – unter Profis auch C2DSRS (Card Driven Dog Sledge Racing Sport) genannt – einzuführen.

FP: „Joe, was ist das Geheimnis des C2DSRS?“
Joe: „Nun ja, ich fahre mit meinem Schlitten als Erster über die Ziellinie. Dafür muss ich schneller als die anderen sein.“
FP: „Das ist ja interessant. Wie schaffen Sie es gewöhnlich, schneller als die anderen zu sein?“
Joe: „Nun ja, das ist ganz einfach. Sehen Sie mal her: Dies sind meine beiden Huskies: Hus („Wuff-Wuff“) and Kies („Bark-Bark“ – …
FP: „Moment ich übersetze für die Leser, Kies kann nämlich nur alaskisch: „Wau-Wau“
Joe: „… ). Nun, ja: Die beiden Huskies werden an den Spezialschlitten gespannt.“
FP: „Aha, was ist das Spezielle am Spezialschlitten?“
Joe: „Nun, ja: Das sie eben huskyhundsnormal sind. Sie bestehen aus zwei Kufen und einer Bremse. Sonst gibt es keine direkte Steuermöglichkeit.“
FP: „Aber wie lenken Sie dann?“
Joe: „Nun ja, ich treibe die Hunde mit meiner Kartenpeitsche unterschiedlich stark an. Die dadurch resultierende, seitwärts gerichtete Kraft lässt den Schlitten nach links oder rechts driften. – Wenn Hus links stärker zieht, geht es nach links. Wenn Kies rechts stärker zieht geht es nach rechts.“
FP: „Wenn aber Hus stärker zieht, müsste dann nicht Kies schneller um die Kurve laufen? Beim 400m Lauf starten die Läufer deswegen doch versetzt?“
Joe: „Wissen Sie, dass wir hier in Alaska solche Klugscheißer wie Sie normalerweise vom nächsten Schneesturm verwehen lassen? – Natürlich muss der andere etwas schneller laufen. Wir sind hier aber nicht beim Milchbubi-Eisenbahnbau, sondern beim Schlittenrennen für harte Männer! Die kennen den Unterschied zwischen Kraft und Geschwindigkeit. Soll ich Ihnen mal zeigen, wie kräftig ich bin?“
FP: „Danke, danke, lassen Sie mich lieber die nächste Frage stellen. Gibt es beim C2DSRS noch mehr zu beachten?“
Joe: „Noch mehr? – Sind Sie denn ein Volltrottel? Stellen Sie sich mal vor, ich würde mit Karacho und Hus und Kies einfach so in eine Kurve donnern! Die Hunde würden sie vielleicht noch kratzen können. Ich würde auf dem Schlitten tangential weiterschlittern oder wie Warmlandlaien so falsch sagen: Aus der Kurve fliegen! – Bremsen – Bremsen und nochmal Bremsen muss man natürlich auch noch!“
FP: „Aha! Und wird gebremst? Wahrscheinlich werfen Sie ja keinen Fallschirm aus.“
Joe: „Nun ja, wenn möglich ramm ich dummschwätzende Reporter hinter mir in den Permafrostboden. Nur wenn ich keine zur Hand habe, nehme ich eine meiner Spielkarten. Jedes Mal muss ich eine, zwei oder drei gleichwertige Karten spielen. Es gibt sie mit den Ziffern eins bis fünf. Eine liegt immer für Hus, eine für Kies und eine weitere für meine Bremse aus. Unter Vernachlässigung tatsächlicher physikalischer Begebenheiten ergibt sich näherungsweise: Geschwindigkeitsbetrag = Kartenwerte von Hus + Kies – Bremse. Resultierende Driftgeschwindigkeit = Kartenwert von Hus – Kies. Zum Hartemännersport wird das Ganze durch die Geschwindigkeitsbeschränkungen, sowie Kurven und Bäume.“
FP: „Bäume? – Geschwindigkeitsbeschränkung? – Ich wähne mich schon in einer Tempo 30 Zone im Schwarzwald.“
Joe: „Nun ja“ – Murmelt in seinen Rauschebart: „Ich glaub es nicht, der Blödmann muss lebensmüde sein“
Laut: „Jawohl, Bäume. Wer nämlich gegen einen Baum donnert, klärt zum einen die Strecke für die nachkommenden und bekommt zum anderen einen Schadenspunkt. Vor jeder Kurve gibt es eine natürliche Geschwindigkeitsbeschränkung. Sie symbolisiert die inneren Kräfte die im Schlitten wirken, wenn er zu schnell herumgerissen wird. Wer sie überschreitet, bekommt auch Schadenspunkte. Schadenspunkte reduzieren die Kartenhand. Fünf Schadenspunkten bedeuten GAME OVER – Ab zum Knochenklempner – Wir sehen uns auf dem Schlittenfriedhof! – Wenn Sie wollen, schnall ich Sie mal auf meinen Schlitten und dann können Sie in der nächsten Kurve über Ihre miesen Scherze lachen.“
FP: „Tut mir leid, meine Reisekrankenversicherung deckt leider keine Risikosportarten ab. Und mit meinem Rückenleiden… – Unsere Leser interessieren sich nicht nur für die technische Seite des C2DSRS sondern wollen auch Emotionen zu Gesicht bekommen: Macht C2DSRS eigentlich Spaß?“
Joe: „Nun ja, ich denke schon. Wieso sollte ich mir sonst hier draußen den Arsch abfrieren? Es gibt nichts Erhabeneres im alaskischen Alltag, als frühmorgens bei klirrenden Minusrekorden aufzustehen, die Hunde anzuspannen, die Spieleschachtel in die Schlittentasche zu packen und zur nächsten Kneipe zu fahren, um dort hinter dem warmen Ofen eine Partie SNOW TAILS zu spielen. Anfänger neigen zwar zum Grübeln, sie schleichen nur umher, oder sie verarbeiten ihren Schlitten auf schnellstem Wege in Brennholz. Nach ein paar Übungspartien kommt aber echte Rennstimmung auf. Dies liegt auch daran, dass Führende doch immer wieder gut eingeholt und sogar oft im letzten Zug überholt werden können. Ein Grund dafür ist neben den schon erwähnten Bäumen eine anatomische Besonderheit der Huskies: Wenn sie geradeaus rennen, also beide gleichstark ziehen, werden sie etwas schneller. Je weiter hinten sie liegen, umso größer wird ihr Bedürfnis aufzuholen. Dies ist ein kleiner, manchmal aber wichtiger Vorteil.“
FP: „Nachdem die Erstauflage von Fragor Games ja schnell ausverkauft war, liegt nun eine Neuausgabe bei Asmodee vor. Welche Unterschiede gibt es und ist eine Ausgabe zu bevorzugen?“
Joe: „Nun ja, wie soll ich es sagen: Die Originalausgabe wirkt gegenüber der neuen Auflage etwas hausbacken. Rein äußerlich bringen die Grafiker von Asmodee mit ihrem Schachteldesign das Spielgefühl besser auf den Punkt. Bei annähernd gleichem Inhalt ist die Schachtel aber auch größer geworden. Sammler werden dies gar nicht mögen, da so mehr Platz im Spieleregal für nichts als warme Luft verschwendet wird. – Die Regeln sind identisch. Beim Spielmaterial wurde allein das Schlittendesign etwas optimiert. Wer also die Erstausgabe besitzt, hat keinen Grund aufs neue Design umzusteigen. Wer SNOW TAILS jetzt erst kaufen will, kann getrost zur professionell gestalteten Version von Asmodee greifen.“
FP: „Ich danke für das Interview“

Karl-Peter Nos

POSTSCRIPTUM:

Bild von Snow Tails

Lesern unseres Blogs ist die Original-Pausentatze des Verlages Fragor Games bekannt. Er kennzeichnet die [cref von-huehnern-und-evolution vergrübelten Spiele]. Das Prädikat zeigt, dass auch die Wiederauflage von Asmodee eine Pausentatze enthält.

Eine in Peters Rezension nicht näher betrachtete Frage lautet: Für wen ist Snow Tails geeignet? Die Regeln sind eigentlich nicht sonderlich schwer. Doch was in Gelegenheitsspielerrunden immer wieder Probleme bereitet, ist die alte Story mit Rinks und Lechts. Wann driftet der Schlitten nach wohin? Selbst die Möglichkeit zum Drehen und Wenden – sprich der Ausrichtung der Schlitten nach aktueller Fahrtrichtung selbst in Kurven – verhindert nicht, dass es gerade während der ersten Partie immer wieder zu Nachfragen kommt.

Bild von 1 von 3 Tatzen
Prädikat
:
1 von 3 Tatzen
Und genau dies verhindert die zweite Prädikatstatze: Denn wenn Zug für Zug immer wieder überlegt und die Orientierung gesucht werden muss, kann es sich ziehen. Auch die begleitenden Diskussionen ermüden gelegentlich: Ist die Driftrichtung physikalisch korrekt? In geübten C2DSRS-Runden hingegen kommt volles Hus-Kies-Gefühl auf. Kaum ein anderes Spiel eignet sich also besser, am Vorabend zur (nur mancherorts weißen) Weihnacht bei Das-SpielEn.de veröffentlicht zu werden. Merry Christmas!

Kathrin Nos

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