Es gibt solche und solche Spiele. Solche sind kurz und knackig spielbar. Sie bieten ein schnelles Spielvergnügen, sättigen aber kaum größeren Spielehunger. Dafür machen sie Lust auf mehr, sind also quasi die Kartoffelchips unter den Spielen. Einmal losgeknabbert führt an ihnen kein Weg mehr vorbei. 7 Wonders oder Dominion sind prominente Beispiele für solche Spiele.

Dann gibt es aber auf der anderen Seite auch solche Spiele, die mehr Arbeit als Spaß bereiten. Kugelrund und pappsatt macht schon eine Partie – egal ob lang oder kurz. Höchstens ein wenig rülpsen, ein Pfefferminzplättchen lutschen oder ein Paar Kartoffelchips knabbern ist dann noch möglich. Wohl wird sich ihrer gern erinnert, sie werden hoch gelobt und viel gepriesen – aber kaum so bald wieder gespielt. Solche Spiele sind etwas für besondere Gelegenheiten, wenn der Geist nach Anspruch ruft. Antiquity ist ein typischer Vertreter eines solchen Spieles.

Bild von London

Zum Glück erscheinen nur ganz selten die wahren spielerischen Kalorienbomben. Diese Pralinen unter den Spielen sind hochgefährlich, halten sie doch davon ab, nach einer flüchtigen Beschäftigung gleich zum nächsten Spiel zu wechseln. Die Konsequenzen sind wohlbekannt, wenn alle Welt stundenlang immer nur ein Spiel spielen will: Hungernde Spielehändler.

Aus Solidarität muss ich deshalb hier und heute eine deutliche Warnung anbringen: „Spielt kein London – würdigt es nicht einmal eines müden Blickes!“ – Denkt lieber an die Spielewirtschaft und kauft zehn andere Spiele der Kategorie „Ein gelungenes Familienspiel.“ (s. auch Rezi – Deutsch)!

Vordergründig sieht London wie ein typisches Martin Wallace Spiel aus: Je nach Grübelneigung dauert es mittellang bis ewig, hat eine ganze Reihe Regeldetails, die nicht wirklich notwendig wären und gehört damit zu solchen Spielen, die sehr lecker sind, aber auch sehr sättigen. Gemeinerweise entdeckte Martin Wallace jetzt das Natriumglutamat, und damit macht jede Runde London nur Lust auf mehr. Einmal in Übung lässt sich London auch leicht und eingänglich erklären. Es geht darum mit Spielkarten London aufzubauen und zu regieren. Es gibt immer nur eine Aktion zu wählen: Einen Stadtteil errichten – das kostet Geld, bringt aber Karten und Siegpunkte; Karten ausspielen – das kostet Geld und weitere Karten; oder ausliegende Karten aktivieren.

Dieses Regieren bringt alles mögliche – aber vor allem immer Armut in Form kleiner schwarzer Würfelchen. Armut ist erstmal nicht schlimm. Nur am Spielende sollten die Mitspieler nicht wesentlich weniger von ihr haben, sonst bringt sie schmerzhaft viele Minuspunkte. Jeder kann sich entscheiden mehr oder weniger intensiv zu regieren. Mehr regieren bedeutet mehr Geld, mehr Siegpunkte, mehr Schulden – aber auch erstmal viel mehr Armut. Zum Regieren werden nämlich Kartenstapel gebildet. Die oberste Karten aller Stapels darf dann aktiviert werden. Dann wird sie meist umgedreht und ist für das restliche Spiel nicht mehr zu gebrauchen. Jetzt werden die Stapel des regierenden Spielers gezählt und dazu seine Handkarten addiert und seine Stadtviertel abgezogen. Diese Summe bekommt er als Armut ausbezahlt. Da es keine Möglichkeit gibt Kartenstapel wieder loszuwerden, müssen nach erfolgter Regiererei erstmal wieder Karten eingesammelt und dann wieder ausgespielt werden.

Im ersten Spiel beschäftigen sich die Spieler erstmal mit sich selbst, den verwirrenden Kartentexten und den zunächst etwas hakeligen Spieldetails. Ein paar
Stunden und Partien später merken sie dann, dass es auch Mitstreiter und sogar auch Interaktionsmöglichkeiten gibt. Auch die strategischen Optionen sind nicht offensichtlich, viele eröffnen sich erst bei der Diskussion nach Spielende. Dies ist dann der Moment von Gedanken der Art: „Wenn ich morgen noch mal London spielen könnte, dann könnte ich ja mal ausprobieren viele Wohnhäuser zu bauen.“ Ich könnte jetzt noch weiterschwärmen und mein Lob konkretisieren. In Anbetracht des Suchtpotenzials von London wäre dies aber fahrlässig.

Bild von 2 von 3 Füßen
Prädikat
: 2 von 3 Füßen

3 Kommentare

  1. Sehr treffend! Toller Vergleich! Natriumglutamat – deshalb! Daran liegt es. Dieses Verlangen. Wir haben auch den Fehler gemacht London zu spielen, nun werden andere Neuheiten sträflich vernachlässigt. Ich würde fast 3 von 3 Punkten geben…

  2. Der Artikel ist wirklich klasse geschrieben. Das klingt so, als müsste ich London unbedingt mal ausprobieren.

  3. Die Sorge, Spielehändler müssten wegen London hungern, ist unbegründet. Ich habe es ja erst jetzt aufgrund Eurer Rezension gekauft! (Und natürlich ein paar Kleinigkeiten dazu, hmm …)

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